Saddam Hussein war nicht nur Partei- und Staatschef des Iraks, sondern inszenierte sich auch als Wiedergänger Nebukadnezars, des „Löwen von Babylon“. Seine Freunde aus der DDR störte das wenig. Über ein vergessenes Kapitel auswärtiger Kulturpolitik Deutschlands und welche Rolle das Pergamonmuseum darin spielte.

Antikoloniale und nationalistische Revolten erschütterten Afrika und den Nahen Osten. „Freie Offiziere“ putschten beispielsweise 1952 in Ägypten, 1956 entbrannte der Aufstand in Algerien, 1963 ergriff die Baath-Partei in Damaskus und in Bagdad die Macht. In Afrika wurden zahlreiche Staaten zwischen 1956 und 1963 unabhängig.

Viele neue Regimes kündigten westliche Militärstützpunkte und nationalisierten Großgrundbesitz, Bergbau und Ölförderung. Für den Ostblock ergab sich eine historische Chance, das Sozialistische Weltsystem nach Süden zu erweitern, vielleicht sogar eine strategische Überlegenheit zu erreichen.

Auf verschiedenen Ebenen agierte die DDR damals in Afrika und Nahost als Juniorpartner der UdSSR und bemühte sich, durch umfangreiche Hilfe den Staatsaufbau, die Wirtschaft und Infrastruktur in den neuen Nationen voranzubringen. Die DDR konnte auf diese Weise versuchen, nachhaltigen und langfristigen Einfluss auf die Wirtschaftspolitik der neuen Nationalstaaten zu nehmen, etwa, um sich Rohstoffe und Absatzmärkte zu sichern.

Nicht nur durch Hilfe und Zusammenarbeit in den Bereichen von Technik, Wirtschaft und Verwaltung sollte Einfluss auf die Eliten der neuen Staaten gesichert werden, sondern ebenso durch Wissenschafts-, Kultur- und Ideologieexport. Kunst, Bildung und marxistische Schulung gehörten ebenfalls zum außenpolitischen Instrumentarium. Auch gemeinsame archäologische Projekte organisierte die DDR in einzelnen Ländern wie Syrien und dem Irak.

antiker Torlöwe aus Sam'al, (Pergamonmuseum), zu Saddam Hussein, Nebukadnezar
Einer von vier antiken Torlöwen aus Sam’al, die sich heute im Vorderasiatischen Museum Berlin (Pergamonmuseum) befinden.

1979 – ein neuer Nebukadnezar erhebt sich über Babylon

Der Irak hatte die DDR früh diplomatisch anerkannt. Saddam Hussein regierte ab 1979 als Diktator in Bagdad. Seine Herrschaftsweise stellte die DDR vor erhebliche Schwierigkeiten. Dennoch hielten die DDR und Sowjetunion am Irak als strategischen Partner fest.

Die Aussicht auf Öllieferungen ließ die DDR zu den Kommunistenverfolgungen schweigen, obwohl es seit 1970 mehrfach (und erfolglos) Hilferufe irakischer Kommunisten gegeben hatte; es gab sogar Übergriffe und Morde, verübt von irakischen Geheimdienstlern an linken irakischen Studenten in Ostberlin (!) und Sofia. Selbst das Ministerium für Staatssicherheit der DDR scheute die Zusammenarbeit mit den irakischen Sicherheitsdiensten, die mehrfach um eine Partnerschaft ersucht hatten.

Trotzdem hatte sich ab Mitte der 1960er Jahre ein beachtlicher Kulturaustausch zwischen der DDR und dem Irak entwickelt, der seinen Höhepunkt um 1978 erreichte, kurz vor Beginn von Saddams Alleinherrschaft. Die vitale irakische Kunstszene war Anfang der 1940er Jahre mit der Rückkehr einiger Künstler entstanden, die zuvor in Paris, Rom oder Kairo studiert und gearbeitet hatten.

Die Kunstszene Bagdads wies mit ihren verschiedenen Künstlergruppen, Lehrinstituten und Galerien eine für den Nahen Osten ungewöhnliche Vielfalt auf. Die Stadt war nach Beirut als Hochburg des arabischen Kunstschaffens zu bezeichnen. Mitte der 1960er Jahre gab es mehrere Künstlervereinigungen in Bagdad: u. a. eine Gruppe von Modernisten, eine Gruppe, die vom Impressionismus beeinflusst war, und eine „Gruppe des modernen Realismus“.

Am Institut für Schöne Künste wurden in vierjährigen Studiengängen vor allem Kunstlehrer ausgebildet, während an der zur Universität von Bagdad gehörenden Akademie der Schönen Künste etwa 200 Maler, Keramiker und Bildhauer studierten. Eine 1965 in Wien, Budapest, London und Ostberlin gezeigte Wanderausstellung mit ca. 80 Gemälden und fünfzehn Plastiken sollte die Vielfalt und Leistungsfähigkeit der jungen irakischen Kunstszene demonstrieren und zeigen, dass sich der Irak auch auf dem Gebiet der Kunst als eigenständige Nation profilieren konnte.

Nun wurde auch die DDR im Irak kulturpolitisch aktiver und zeigte mehrere Kunstausstellungen. Mit der Eröffnung eines Kultur- und Informationszentrums 1968 in Bagdad bekam Kultur aus der DDR einen festen Repräsentationsort, an dem Ausstellungen und Vorträge stattfanden. In den folgenden Jahren kam es zu einer dichten Folge von wechselseitigen Ausstellungen.

Der Verband Bildender Künstler der DDR und die Gewerkschaft der Künstler der Republik Irak hatten 1977 Beziehungen aufgenommen und wechselseitigen Erfahrungsaustausch, Besuche von Delegationen, Hospitanten und Arbeitsstipendiaten sowie Ausstellungen vereinbart.

Das Pergamonmuseum im Mittelpunkt

Im Bereich der Archäologie kam es zu gemeinsamen Ausgrabungsprojekten im Irak, an denen das Ostberliner Vorderasiatische Museum beteiligt war. In dessen Sammlung befanden sich bereits zahlreiche Exponate aus Babylon und anderen nahöstlichen Kulturen, wie beispielsweise eine Plastik des Wettergottes Hadad und das rekonstruierte Ishtar-Tor.

Wie das „Kollektiv“ des Vorderasiatischen Museums in der DDR seine musealen Aufgaben in den Bereichen Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln wahrnahm und dabei auch mit irakischen und syrischen Fachleuten zusammenarbeitete, war 2021 auch Gegenstand einer Sonderausstellung.

Die Kulturpartnerschaft mit der DDR war Teil des Plans der Baath-Partei, den Irak auf allen Ebenen als moderne arabische Vormacht zu etablieren und internationales Prestige zu akkumulieren. So profilierte sich der Irak als Gastgeber des Al-Wasiti-Festivals für bildende Kunst und Literatur (das bis heute stattfindet), als Konferenzort der Organisation arabischer Künstler, als Gastgeber der Arabischen Biennale und internationaler Graphikausstellungen.

Saddam Hussein unterstützt als Nebukadnezar im Streitwagen die irakische Armee.
Saddam Hussein unterstützt als Nebukadnezar im Streitwagen die irakische Armee. Wandmalerei im rekonstruierten Babylon-Palast, vermutlich zweite Hälfte der 1980er Jahre. Fotograf unbekannt.

Seit Mitte der 1970er wurde die irakische Kultur aber immer stärker in den Dienst der Baath-Diktatur genommen. Zudem beanspruchte Bagdad das Erbe der antiken Kulturen im Zweistromland zu verwalten; Saddam Hussein identifizierte und inszenierte sich ab Mitte der 1980er Jahre als Nachfolger Nebukadnezars II.

Motiv Ishtar-Tor: Briefmarke der DDR 1966
Briefmarke der DDR 1966 mit dem Motiv des Ishtar-Tores. (Wikipedia)

Saddam Hussein, der neuzeitliche Löwe von Babylon

Im Berliner Vorderasiatischen Museum (bekannter unter dem Namen Pergamonmuseum) wird das berühmte Ishtar-Tor als Schlusspunkt einer langen babylonischen Prozessionsstraße präsentiert. Es wurde mit glasierten blauen Originalziegeln rekonstruiert. Das Museum war zu DDR-Zeiten das am meisten besuchte ostdeutsche Museum.

„Die stets um außenpolitische Legitimität bemühte DDR rühmt sich, die ,Weltschätze der Kultur‘ auf der Museumsinsel ausstellen zu können.“

Christopher Hölzel, Mitarbeiter Vorderasiatisches Museum Berlin und Kurator der Sonderausstellung “Nebukadnezar im Sozialismus” (2021)

Für die auf internationale Anerkennung hinarbeitende DDR diente das Vorderasiatische bzw. Pergamonmuseum mit seinen Großexponaten als monumentale Kulisse für Staatsbesuche, wie beispielsweise beim Auftritt von Indira Ghandi im Jahr 1976. Sowohl die SED-Führung als auch Saddam Hussein nutzten die Überreste der babylonischen Kultur, um sich selbst in Szene zu setzen und die eigene Herrschaft zu legitimieren. Saddam Hussein ließ 1985 eine Kopie der Berliner Rekonstruktion des Ishtar-Tores auf den Grundmauern des historischen Babylon errichten.

Saddam und Nebukadnezar. In der Mitte das Ishtar-Tor.
Jemand schaut sich eine Abbildung vom Wandgemälde im ab 1985 errichteten Babylon-Palast an. Es zeigt Saddam und Nebukadnezar. In der Mitte das Ishtar-Tor.

In weiteren Bauten auf diesem Areal inszenierte er sich mit Skulpturen, in Wand- und Deckengemälden als Nachfolger Nebukadnezars und ließ auf Ziegeln die Inschrift anbringen: „Ich, Saddam Hussein, Präsident und Beschützer des irakischen Volkes, habe den Palast des Nebukadnezar und die Zivilisation des Iraks wiederauferstehen lassen.“

Im Laufe des ersten Golfkriegs (zwischen Irak und Iran in den Jahren 1980–1988) dünnte sich der Kulturaustausch zwischen der DDR und dem Irak aus. Ausgrabungsstätten in Frontnähe mussten von den DDR-Archäologen aufgegeben und geräumt werden. Ihre einheimischen Helfer wurden eingezogen. Der Krieg erstickte das Kulturleben des Landes, weil auch Zehntausende von Akademikern in den Kampf geschickt wurden. „Das Kulturpublikum zerstreute sich“, wie der Schriftsteller Fares Harram 2006 rückblickend feststellte:

„Die Auflösung der Mittelklasse als Trägerin kultureller und politischer Werte und als Vertreterin literarischen und künstlerischen Geschmacks war ein Vorgeschmack auf eine Zeit des kulturellen Komas der irakischen Gesellschaft, wie wir sie heute kennen.“ 

Fares Harram
Saddam Hussein, der "Löwe von Babylon", besuchte eine Kunstausstellung.
Der „Löwe von Babylon“ besucht eine Kunstausstellung im Irak und erblickt ein Porträt seiner selbst. Man kann für alle Beteiligten nur hoffen, dass es ihm gefallen hat. Pressefoto, späte 1980er Jahre (Fotograf unbekannt)

Trotz schwindender Möglichkeiten, ideologisch und politisch Einfluss zu nehmen, hielt die DDR bis zuletzt an den Beziehungen zur Saddam-Diktatur fest. Es gab Ende der 1980er kein politisches Konzept und keine ideologische Begründung mehr für ihre Außenpolitik im Nahen Osten.

Ob die Hilfe der DDR zum Nation Building in Afrika und Nahost erfolgreich und nachhaltig war – diese Frage scheint die Geschichte bereits beantwortet zu haben. Nicht wenige Staaten, zu denen die DDR intensive sicherheitspolitische, wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen pflegte und deren Aufbau sie unterstützte, sind mittlerweile zerfallen und in Bürgerkriegen versunken: Syrien, Irak, Libyen, Jemen, Somalia, Sudan, Äthiopien und Mali.

Andere ehemalige Partnerstaaten stagnierten oder erstarrten unter autoritären und kleptokratischen Regimes wie Guinea oder Simbabwe. Doch waren weder der Untergang der DDR noch der Zusammenbruch ihrer arabisch-afrikanischen Partnerländer vorhersehbar. Im Gegenteil, die Zusammenarbeit erschien damals vor dem Hintergrund eines aufstrebenden Panarabismus und einer jungen, linksnationalistischen Elite in Nahost und Mittelost ebenso vielversprechend wie in Afrika und anderen Teilen der Welt. Und das Konzept dieser Form von Einflussnahme ist bis heute populär.

Ein weiteres interessantes Kapitel der DDR-Außenpolitik im Zusammenhang mit Angela Davis, der Blackpower-Aktivistin, findest du hier.

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