Was machte die Amarna-Prinzessin bei der Familie Greenhalgh? Die Greenhalghs aus Bolton bei Manchester sorgten für den größten Fälscherskandal im Großbritannien der letzten Jahrzehnte. In ihrer Sozialwohnung und in einem Geräteschuppen produzierten der damals 47-jährige Shaun Greenhalgh, seine Mutter Olive (82) und sein Vater George (84) Fälschungen von Artefakten aus vier Jahrtausenden.
Seit sich die vormals anonymen Kunsthandwerker in der Renaissance zu individuellen Meistern mauserten, deren signierte Werke hoch geschätzt und gehandelt werden, ist die Versuchung groß, durch Fälschungen den Ruhm bekannter Künstler für sich auszunutzen und Kasse zu machen.
In den meisten Fällen handelt es sich bei Fälschern um solide Kunsthandwerker, aber keine echten Künstler: Sie haben keine eigenen Ideen, sie imitieren nur Malstile, Signaturen oder Alterungsprozesse. Wolfgang Beltracchi ist das in Deutschland bekannteste Beispiel für diese Art von Betrüger. In Großbritannien ist es Shaun Greenhalgh.
Die Reize zum Fälscher zu werden sind zahlreich: verletzter Stolz (z.B. wegen ausbleibender öffentlicher Beachtung des eigenen Talents), Gier nach schnellem Geld und allgemeine Verachtung für das Kunstestablishment – reiche Sammler, reiche Galeristen, Gefälligkeitsgutachter, spekulative Kunstware, die kein traditionell handwerkliches Können mehr erfordert etc.
Die beliebtesten Fälschungsobjekte sind Artefakte, Werke der klassischen Moderne und Alte Meister. Fachleute schätzen, dass ein erheblicher Teil der weltweit umgesetzten Kunstmarktware aus Fälschungen besteht. Meist gelangen sie über kleinere Auktionshäuser in Umlauf, wobei unseriöse Experten eine große Rolle spielen. Fälschungen bei großen Auktionshäusern einzuliefern oder Museen verkaufen zu wollen, ist für die Täter deutlich riskanter. Dort können Fälschungen aber nach ein paar Weiterverkäufen ebenfalls angeboten werden.
Auch unterhalb dieses Niveaus bietet der Kunstmarkt viele Ebenen und Gelegenheiten, heiße Ware abzusetzen. Seriöse Händler warnen stets vor diesem ›Grauen Markt‹: Kleinanzeigen in den Zeitungen oder online, die Meisterwerke anbieten, temporäre Kunstmärkte für Ikonen in Turn- und Mehrzweckhallen, Internetauktionen, bei denen »Originale« von Top-Künstlern zum Einstiegspreis von 100 Euro zu haben sind. Fälscher arbeiten in den meisten Fällen nicht allein, sondern sind in kriminelle Netzwerke eingebunden.
Über Zwischenhändler und Vermittler werden ihre Arbeiten in den Kunstmarkt eingeschleust; häufig arbeiten sie sogar auf Bestellung und richten sich ganz nach den Moden des Marktes. Üblicherweise spezialisieren sich Fälscher auf eine bestimmte Epoche und einen oder mehrere stilverwandte Künstler, weil sie eine gute Bezugsquelle für entsprechende Basismaterialien haben und sich die passenden kunsthistorischen Kenntnisse aus dieser Zeit angeeignet haben. Allrounder gibt es selten, weil unter der Vielseitigkeit die Glaubwürdigkeit der einzelnen Fälschung leiden kann.
Die Familie Greenhalgh aus Bolton bei Manchester ist hier als Ausnahmeerscheinung zu betrachten. Sie sorgte für den größten Fälscherskandal im Großbritannien der letzten Jahrzehnte. In ihrer Sozialwohnung und in einem Geräteschuppen produzierte Shaun Greenhalgh Fälschungen aus vier Jahrtausenden – und das über 17 Jahre lang. Mutter und Vater halfen bei der Fälschung der Erfindung einer glaubhaften Provenienzgeschichte der Werke. Parallel zu ihrem Treiben bezogen die Greenhalghs Sozialhilfe.
Die Meisterfälscher und die Amarna-Prinzessin
Shauns betagter Vater trat direkt mit Museen und Auktionshäusern in Kontakt. Sein sicheres und kompetentes Auftreten, vor allem seine beeindruckenden Provenienznachweise führten dazu, dass ihm die Experten glaubten und er im Jahr 2003 vom Museum in Bolton 440.000 Pfund für eine altägyptische Alabasterfigur erhielt.
Oldie George spielte dort den ahnungslosen Greis, der die Amarna-Prinzessin von seinem Urgroßvater geerbt haben wollte und scheinheilig nachfragte, ob man ihn andernorts richtig beraten habe mit einer Schätzung von 500 Pfund für die Amarna-Prinzessin, die Darstellung einer Tochter des Herrscherpaares von Amarna, Echnaton und Nofretete.
Tatsächlich hatte sein talentierter Sohn Shaun die Skulptur in drei Wochen selbst im Geräteschuppen gemeißelt und ihr mit Tee und Ruß eine antike Patina verpasst. Auktionshäuser und Museen, selbst die Experten des British Museum, ließen sich von der guten Qualität der Greenhalgh-Werke – nicht nur der Amarna-Prinzessin – täuschen.
Namhafte Kunsthistoriker lieferten tiefsinnige Interpretationen zu den Arbeiten, etwa zu einer angeblichen Keramikfigur aus der Hand Paul Gauguins, einen Faun aus dem Jahr 1886. Anne-Brigitte Fonsmark, führende Expertin für Gauguins Keramiken, würdigte den Faun als die »satirischste Arbeit« Gauguins und mutmaßte, die Figur trage die Züge von Gauguins Schwager Edvard Brandes.
Zweifel an den Werken gab es allerdings schon früh und immer wieder. Allein, dass so viele bis dahin unbekannte Schätze ausgerechnet in einer verschlafenen Region Großbritanniens die internationale Kunstmarktbühne betraten, sorgte schon hier und da für Fragezeichen. Aber alle Zweifel verliefen ins Leere. Ein vermeintlich kleines Missgeschick wurde den Greenhalghs schließlich doch zum Verhängnis – so wie es wohl den meisten Fälschern irgendwann widerfährt.
Im Persönlichkeitsprofil eines Fälschers ist die Ausbeutung der Lebensleistung anderer Künstler eingeschrieben. Er sucht gewissermaßen den „Short Cut“ zu (heimlichem) Ruhm und Reichtum, ohne dass er die Mühen, Unwägbarkeiten, Rückschläge und Entbehrungen auf dem Weg dorthin auf sich nehmen will.
Und dieser Charakterzug ist es schließlich auch, der wohl die meisten Fälscher irgendwann enttarnt – Fleiß statt Finesse, Routine statt Leidenschaft, Selbstüberhöhung statt Selbstzweifel.
Man stelle sich vor: In der assyrischen Keilschrift eines Reliefs, das die Greenhalghs dem British Museum anboten und von dem die Fachleute des Museums zunächst begeistert waren, entdeckten die Experten bei genauerer Prüfung einen Rechtschreibfehler!
So etwas wäre im Altertum niemals den Augen eines Herrschers zugemutet worden. Der Schreiber hätte diesen Fehler mit einer Hand, vielleicht sogar mit dem Leben bezahlt. Shaun Greenhalgh hingegen kam mit fünf Jahren Freiheitsentzug davon, und obwohl seine »Amarna Prinzessin« mit Steuergeldern erworben worden war, flogen ihm ob seiner Fähigkeiten (und wohl auch wegen seines knuffigen Aussehens) die Herzen vieler Briten zu. Immer wieder wird er als »Held der Arbeiterklasse« tituliert.
Die Polizei fand bei der Durchsuchung der Wohnung eine regelrechte Höhle Aladdins vor – vollgestopft mit Materialien und Werken aus verschiedensten »Epochen«. Den Gesamtwert der bislang bekannten gefälschten Artefakte des Trios bezifferte eine polizeiliche Schätzung mit zehn Millionen Pfund.
Und natürlich veröffentlichte Shaun Greenhalgh nach der Verurteilung seine Lebensgeschichte in einem Buch – A Forger’s Tale. Die Frage, ob er das wirklich selbst geschrieben hat oder auf die Hilfe eines Ghostwriters zurückgreifen musste, bleibt vorerst unbeantwortet.
Klar indes ist, dass noch immer zahlreiche Greenhalgh-Fälschungen unerkannt in Sammlungen ihrer Enttarnung harren. Sie werden womöglich nie verifiziert, weil es schlichtweg niemandem nützt. Den Eigentümern würde es massiv schaden und Verkäufer achten stets darauf, immer das Gutachten zu bekommen, das sie für den profitablen Verkauf ihrer Ware benötigen.
Ein Beispiel dafür ist La Bella Principessa, dass 1998 auftauchte und zunächst als Werk aus dem frühen 19. Jahrhundert galt bevor es 2010 niemandem geringeren als Leonardo da Vinci zugeschrieben wurde – verantwortlich dafür: der pensionierte Kunstgeschichtsprofessor Martin Kemp und Alessandro Vezzosi, dem Gründer des „Museo Ideale Leonardo da Vinci“. Dabei reklamiert noch jemand die Autorenschaft des Werkes auf altem Pergament für sich: Shaun Greenhalgh!
Eines scheint also sicher: Der nächste Fälschungsskandal kommt bestimmt.