Sultan ohne Kopf – stattdessen blüht eine Rose auf seinem Hals. Dieses seltsame Bild ist in einer sehenswerten kulturvergleichenden Ausstellung zu sehen, mit der sich das Zürcher Museum Rietberg im Frühjahr 2022 der Frage des religiösen Bilderverbots widmet. Nach landläufiger Meinung wird ein Bildverbot vor allem dem Islam attestiert, während im Christentum religiöse Bilder als ausdrücklich erwünscht gelten. Dass es sich nicht ganz so einfach darstellt, haben wir bereits in einem früheren Beitrag dargestellt.
Tatsächlich gilt es hier im Blick auf die beiden Weltreligionen zu differenzieren. Im Islam gab Mohammed unmissverständlich die Grundlinie vor: „Bilder sind ein Greuel von Satans Werk, meidet sie!“ In der Hadith, einer Sammlung von Aussprüchen Mohammeds, werden Bilder als „unrein“ bezeichnet, weil sie vom Gebet ablenkten. Denjenigen, die lebendige Wesen malten oder plastisch nachbildeten, wurden im Jenseits schlimmste Höllenqualen prophezeit, weil sie ihren „Geschöpfen“ am Tage des Jüngsten Gerichts kein echtes Leben einhauchen könnten.
Allerdings wurde Mohammeds Wort nicht überall konsequent umgesetzt. So bestimmten im islamischen Orient die einzelnen regionalen Rechtsschulen, ob ein Bild völlig „verboten“ oder nur „tadelnswert“ sei. Wobei allerorten kein Zweifel darüber bestand, dass Bilder weder in Moscheen noch bei religiösen Handlungen zugelassen werden durften. In allen anderen gesellschaftlichen Bereichen waren es die machtpolitisch maßgebenden Akteure, vor allem die Fürsten, die die Legitimität von Bildern, d.h. von figürlichen Darstellungen, immer wieder von Neuem aushandelten.
Grundsätzlich ist im religiösen Kontext das „Kultbild“ vom „Erzählbild“ zu unterscheiden. Während figürliche Darstellungen im islamischen Gottesdienst undenkbar waren, wurden sie in erklärenden Buchillustrationen durchaus verwendet, in seltenen Fällen wurde dabei sogar das unverhüllte Gesicht des Propheten Mohammed und seiner Kinder gezeigt, wie in Zürich auf einem iranischen Plakat aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zu sehen ist.
Alles in allem blieb die figürliche Darstellung in der islamischen Welt aber eher eine Nebenerscheinung. Es dominierte stattdessen eine ornamentale Kunst ohne Unterscheidung von religiösen und weltlichen Anwendungsbereichen. Bis heute liegen hier die künstlerischen Traditionen in den Bereichen Schriftkunst, Buchmalerei, Teppichknüpferei und Gartenarchitektur, also Landschaftsgestaltung.
Die Aufgabe der muslimischen Künstler bestand darin, nicht den Menschen durch Abbildung zu verehren, sondern die göttliche Ordnung durch harmonische, ungegenständliche und geometrische Muster zu preisen.
An den Höfen in Persien, dem Osmanischen Reich und in Mogulindien wurde darüber hinaus eine reichhaltigere figürliche Bildkultur gepflegt. In Teheran, Bagdad und Istanbul wirkte dabei noch die höfische antike und byzantinische Bildkultur nach, die teilweise von den muslimischen Herrschern übernommen wurde. Zudem erkannten die islamischen Herrscher in der Neuzeit den propagandistischen Wert ihrer Personenporträts und gaben sie vermehrt in Auftrag.
Ingesamt also hat auch die islamische Welt eine beträchtliche Menge von Miniaturen, Keramikschalen und Textilien mit Menschendarstellungen hervorgebracht, auch wurden viele Herrscherporträts in Auftrag gegeben, wie etwa von Fath ʿAli Shah Qajar, um 1805 in Teheran gemalt und Mihr ʿAli (1795 bis nach 1830) zugeschrieben.
Zusammenfassend betrachtet wurde die künstlerische Entwicklung im islamischen Kulturkreis durch die Fürstenhöfe vorangetrieben, während im Christentum die Kirchen als große Auftraggeber agierten.
Doch auch hier war die Situation keineswegs eindeutig. In den Zehn Geboten des Alten Testaments heißt es gleich zu Beginn: „Fertige dir kein Gottesbild an. Mach dir auch kein Abbild von irgendetwas im Himmel, auf der Erde oder im Meer.“ (2. Buch Mose (Exodus) 20, 4) Demnach sollten keine Abbildungen Gottes oder Abbildungen des Menschen, der Tiere oder der Landschaft überhaupt gestattet sein. Dies entsprach auch den Prinzipien des Islam und des Judentums – und aus letzterem war der christliche Glaube hervorgegangen.
Der Streit zwischen den Bildgegnern und den Bildverehrern ist also schon in der spätrömischen Aufstiegsphase des Christentums angelegt. In einem Bürgerkrieg ab dem frühen 8. Jahrhundert wurde dieser Konflikt über einen Zeitraum von fast 120 Jahren ausgefochten. Im Jahr 843 setzten sich die Ikonenbefürworter schließlich durch. Sie erklärten die Bilderverehrung sogar zum Dogma.
Zur Zeit der Reformation kam es noch einmal zu einem großen Bilderstreit im Christentum, in dessen Verlauf vor allem in Mitteleuropa Bilder zerstört und Statuen zertrümmert wurden.
In einer Gegenüberstellung zeigte das Museum Rietberg die „Zerstörung der Idole der Kaʿba“ aus einer persischen Schrift (1567), und die auf Holz gemalte Szene „Der hl. Nikolaus treibt Dämonen aus und zerschlägt Götterbilder“ (Russland, zweites Viertel 19. Jahrhundert). Die persische Buchillustration zeigt Mohammed mit Flammenaura und Gesichtsschleier, wie er eine tönerne Götzenfigur zerschlägt, wobei dieser eine schwarze Teufelsfigur entspringt.
Bilderverbote hat es also in islamischen und in christlichen Kulturen gegeben. Die Zürcher Ausstellung legte den Fokus auf die Frage, wie Künstler, Auftraggeber und Kunstsammler mit den jeweiligen Verboten von figürlichen Darstellung umgingen. Dies betraf die Abbildung von Lebewesen allgemein, von Menschen und insbesondere des Propheten Muhammad oder von Jesus Christus.
Nur der kopflose Sultan darf gezeigt werden
Die Schau zeichnete nach, welche Strategien Islam und Christentum im Verlauf der Jahrhunderte entwickelten, um trotz des Bilderverbots die visuellen Künste zu fördern. Mohammed wurde in den meisten Darstellungen mit einem Schleier maskiert. Andere Figuren wurden quasi „geköpft“ um sie darstellen zu können, etwa, in dem man die Köpfe mit feinen Linien symbolisch vom Hals trennte, wie in einer persischen Buchillustration im Museum Rietberg zu sehen war.
Und bei den Sultanporträts in einem Exemplar des „Tercüme-i miftāḥ-ı cifrüʾl-cāmiʿ“ sind die Köpfe gar durch Rosenblüten ersetzt worden, weil damit dem religiösen Dogma, keine „lebensfähige Wesen“ abzubilden, Genüge getan war.
Im Zentrum der Zürcher Ausstellung stand die Zeitspanne zwischen dem 6. und 16. Jahrhundert. In dieser Zeit wurde die Bilderfrage ausführlich von Theologen erörtert. Die 136 mehrheitlich aus Persien und dem Osmanischen Reich stammenden Werke der Ausstellung deckten einen weiten geografischen Raum ab, der vom lateinischen Westeuropa über den östlichen Mittelmeerraum und Westasien bis nach Südasien reicht.
Ausstellungen wie diese haben es schwerer als solche, die mit Künstlerstars und großen Namen aufwarten können. Schade eigentlich, denn „Im Namen des Bildes – Das Bild zwischen Kult und Verbot in Islam und Christentum“ verdeutlicht u.a. die langen Traditionslinien der Auseinandersetzungen ums Bild. Und der Kampf ums Bild ist in unserer visuell geprägten Gegenwart stärker denn je auch ein Kampf um die Köpfe.
Die Ausstellung ist noch bis zum 22. Mai 2022 zu sehen.