Seit über zwanzig Jahren ehrt die Stadt Osnabrück ihren berühmten Sohn Felix Nussbaum (1904-1944) mit einem ungewöhnlichen Museum: Das Felix-Nussbaum-Haus bildet das Kernstück des Museumsquartiers Osnabrück und wurde von dem renommierten Architekten Daniel Libeskind entworfen. Von ihm stammt auch das Jüdische Museum in Berlin. Nach anfänglichen Widerständen haben sich avantgardistische Architektur und niedersächsische Provinz angefreundet. Heute sind Stadt und Bürger stolz auf dieses Haus. Aber wer war dieser Felix Nussbaum eigentlich und was ist von seiner Kunst zu halten?
Felix Nussbaum stammte aus einer jüdischen Bürgerfamilie. Ab 1922 studierte er an der Hamburger Kunstgewerbeschule, der Berliner Lewin-Funke-Schule und an den Vereinigten Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst in Berlin. Dort war er ab 1928 Meisterschüler bei Hans Meid (1883–1957), einem Künstler, der vor allem für sein grafisches Werk, insbesondere seine Illustrationen, bekannt war.
Erste Stationen – Osnabrück, Hamburg, Berlin
In Berlin lernte der Nachwuchskünstler seine Lebensgefährtin und spätere Ehefrau Felka Platek (1899–1944) kennen. Sie stammte aus Warschau und war ebenfalls Malerin. Auf den Spuren van Goghs reiste er nach Frankreich und mietete nach der Rückkehr 1929 ein eigenes Atelier in Berlin an. In den dort entstandenen Arbeiten setzte er sich u.a. mit dem damals grassieren Van-Gogh-Kult auseinander. Um 1930 galt Felix Nussbaum als vielversprechendes Talent.
Durch seine zahlreichen Ausstellungsteilnahmen war er einem interessierten Publikum in Deutschland schon früh bekannt – was durchaus auch eine Schattenseite hatte. Nun wurden auch provinzielle Neider und antisemitische Hetzer auf ihn aufmerksam. Als Zeitungen fälschlicherweise 1929meldeten, er habe eine hohe Auszeichnung erhalten, lastete das Osnabrücker Blatt Der Stadtwächter die Zeitungsente Nussbaum selbst an, als habe er damit angeben wollen.
“Nach der Auffassung unseres künstlerischen Beirats handelt es sich bei der Nußbaum’schen „Kunst“ um Zeichnungen, die sich auf einer Kegelbahn oder im Futterraum eines Pferdestalles allenfalls noch sehen lassen können, aber das Gepinsel des Herrn Felix Nußbaum hat mit echter Kunst nichts zu tun.”
Der Stadtwächter. Unabhängiges Organ für freie Meinung in Stadt und Land“ vom 21. Juli 1929
Nussbaum war die Angelegenheit peinlich und lästig, wie er der Preussischen Akademie der Künste im Juli 1929 schrieb: “Mein Vater ließ in meiner Heimatstadt in unseren Zeitungen bekanntgeben, daß ich mich unter den Trägern der diesjährigen Medaille vom Preußischen Ministerium für Kunst und Wissenschaft befände.
Irrtümlich schreib eine Zeitung, daß es sich um die Staatsmedaille handele. Mein Vater berichtigte die Angelegenheit sofort persönlich, jedoch ging der Redakteur nicht weiter darauf ein mit der Bemerkung, daß das nicht so wesentlich sei. Es befindet sich nun hier am Platze eine stark antisemitische Zeitung welche von einem geistig nicht sehr hochstehenden Wunderarzt geleitet wird, der sich vor Gericht des öfteren schon zu verantworten hatte. Sie werden ja ihr Urteil selbst beim Lesen einiger Zeilen fällen können.
Diese Zeitung brachte nun unter dem Titel: ‘jüdische Falschmeldung’ die Angelegenheit der Medaille. Sie können sich denken wie peinlich es mir im Augenblick ist und möchte Sie hiermit höflichst unterrichten um etwaige Mißverständnisse zu vermeiden.” (Brief von Felix Nussbaum vom 21.07.1929 an Prof. Kautzsch. Archivsignatur: Universität der Künste Berlin, Universitätsarchiv, Bestand 8, Nr. 45.)
1931 gelang ihm auf der 64. Ausstellung der Berliner Sezession mit dem großformatigen Gemälde Der tolle Platz ein echter Coup. Er kritisierte damit das abgehobene Honoratiorentum in der Preußischen Akademie der Künste mit ihrem damaligen Präsidenten Max Liebermann und die mangelnden Aufstiegschancen für junge Künstler.
1932 bewarb sich Felix Nussbaum um einen Studienaufenthalt in der Villa Massimo in Rom, der ihm vom Auswahlkomittee der Preußischen Akademie tatsächlich gewährt wurde. Warum er sich nicht um ein Stipendium bewarb ist unklar. Möglicherweise hielt er es für unrealistisch, nach seinem kritischen Bild das wertvolle Stipendium mit Salair zugesprochen zu bekommen, oder er kannte die kleinen aber bedeutsamen Unterschiede dieser Programme nicht.
Vorzeichen des Unheils in Rom
Im Oktober 1932 bezog Felix Nussbaum zusammen mit Felka Platek sein Quartier in der Villa Massimo, wo zeitgleich Arno Breker Stipendiat war. Hier trafen sich Künstler, deren weitere Lebenswege unterschiedlicher kaum sein konnten. Breker wurde Staatskünstler des Nazi-Regimes, Nussbaums künstlerische Karriere drohte das Ende, bevor sie wirklich begonnen hatte.
Kaum hatte sich Nussbaum in Rom einigermaßen eingelebt (er nannte sie enttäuscht „Ruinenstadt“) fiel neben viel persönlichem Hab und Gut auch ein Großteil seines Frühwerks, rund 160 Gemälde, die er in seinem Atelier in der Xantener Straße in Berlin-Charlottenburg zurückgelassen hatte, einem Brandanschlag zum Opfer. Nussbaum konnte nun nicht mehr mit der Miete aus dem untervermieteten Atelier rechnen noch mit Erlösen aus Verkäufen seiner Bilder.
Als mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten der Antisemitismus unverholener denn je zur Geltung kam, die Gewalt gegen Juden zunahm und sich das kulturelle Klima in Deutschland veränderte, hatte dies schnell auch Konsequenzen in der fernen Villa Massimo. Ein anderer Stipendiat, der Maler Hanns Hubertus Graf von Merveldt, verprügelte Nussbaum am 15. Mai 1933, so dass dieser in ärztliche Behandlung musste.
Vor dem Hintergrund der Quellenlage kommen mehrere Historikerinnen und Historiker zu der Einschätzung, dass Merveldt glühender Anhänger der NSDAP war und aus politisch-rassischen Motiven gehandelt hat, möglicherweise sogar von Funktionären der NSDAP-Auslandsorganisation zu dem Angriff motiviert worden war, um diese Einrichtung so schnell wie möglich unter die Fittiche der Partei zu bekommen und die Juden Felix Nussbaum und Felka Platek aus der Villa zu beseitigen.
Denn zwei Wochen nach Merveldts Attacke kam Reichspropagandaminister Joseph Goebbels nach Rom (vom 29.05. bis zum 31.05.1933) und stattete auch der Villa Massimo einen Besuch ab, u.a. um Breker zur baldigen Rückkehr nach Deutschland zu bewegen. Da war Felix Nussbaum nach Einschaltung des Auswärtigen Amts und – an der Weigerung Merveldts gescheiterten – Bemühungen des Leiters der Villa, die Angelegenheit gütlich beizulegen, bereits aus der Villa Massimo entfernt.
Die Flucht auf der Flucht
Felix Nussbaum und Felka Platek kehrten angesichts der Lage in Deutschland nicht nach Berlin zurück. Sie blieben zunächst in Italien (Alassio und Rapallo) und zogen über Umwege nach Belgien, zunächst nach Ostende, dann nach Brüssel. Nussbaum wurde nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Belgien als „feindlicher Deutscher“ eingestuft und im Mai 1940 ins südfranzösische Lager Saint-Cyprien deportiert. Von dort gelang ihm die Flucht zurück nach Brüssel.
Die folgenden Jahre verbrachten Felix Nussbaum und Felka Platek in Verstecken im besetzten Brüssel. 1942 konnte Nussbaum ein Konvolut von ca. 100 Werken bei Freunden deponieren, was ihm nach dem Trauma durch das zerstörte Berliner Atelier sicher nicht leicht fiel. Seitdem hatte er auf seiner erzwungenen Odyssee nach dem Rauswurf aus der Villa Massimo seine Bilder praktisch immer bei sich. Aber nach der Flucht aus dem Gefangenenlager und als wacher Beobachter der politischen Lage musste er das Schlimmste als Möglichkeit in seine Überlegungen mit einbeziehen.
„Wenn ich untergehe, lasst meine Bilder nicht sterben!“
Während Platek das Malen aufgab, versuchte Nussbaum selbst unter diesen widrigen Umständen, seine Existenz als Künstler zu behaupten. Es gab Phasen, in denen er aus Sicherheitsgründen auf das Malen verzichtete, arbeitete dann aber unter großem Risiko in einem Kelleratelier.
Schließlich wurde das Paar am 20. Juni 1944 denunziert und verhaftet. Am 31. Juli 1944 wurden sie in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und dort im August 1944 ermordet. Am Abend des 3. September 1944 wurde Brüssel von britischen Truppen befreit.
Nussbaums weltberühmtes Gemälde Selbstbildnis mit Judenpass aus dem Jahr 1943 wurde zum ikonischen Inbegriff des ständig bedrohten Lebens im Verborgenen. Hier eine Besprechung des Bildes durch die Osnabrücker Kuratorin und Felix-Nussbaum-Spezialistin Anne Sibylle Schwetter:
Dennoch würde es Felix Nussbaum – wie auch Charlotte Salomon, Julie Wolfthorn und vielen anderen Künstlern und Künstlerinnen, die im Holocaust umkamen – nicht gerecht werden, Leben und Werk nur im Kontext ihres tragischen Endes zu sehen.
Nussbaums Werke, die in der Zeit seiner Verfolgung entstanden, demonstrieren das Spannungsfeld zwischen der eigenen bedrohlichen Situation und dem Drang, den eigenen künstlerischen Ausdruck fortzuentwickeln. Diese Entwicklung hatte viele Einflussfaktoren. Künstlerisch waren das u.a. Henri Rousseau, Vincent van Gogh und in Italien dann auch Giorgio de Chirico.
Es ging Felix Nussbaum nach 1933 nicht einfach um die Dokumentation der Geschehnisse oder die Stigmatisierung als Opfer des nationalsozialistischen Rassen- und Vernichtungswahns, sondern um die Möglichkeit, moderne Individualität, Ambivalenz und Menschlichkeit in der Kunst zur Geltung zu bringen.
Es ist eben auch tragisch, dass Nussbaum seinen künstlerischen Weg nicht frei gehen konnte. Denn die Werke, die er selbst unter dem imensen Verfolgungsdruck in Brüssel malte, lassen erkennen, dass noch mehr Großes zu erwarten gewesen wäre. Nach dem II. Weltkrieg dauerte es dennoch bis in die 1970er Jahre bis Felix Nussbaums Schaffen gebührende Beachtung fand.
Seit 1998 manifestiert sich die Anerkennung Felix Nussbaums im eingangs erwähnten Felix-Nussbaum-Haus in Osnabrück. Diese Einrichtung bemüht sich darum, den künstlerischen Lebenslauf in seiner Vielfalt zu erfassen und Nussbaum nicht in seinem Status als NS-Opfer „einzusargen“. So wird dort auch seine Lebenszeit umfassend und differenziert gewürdigt, etwa in der Ausstellung „Nussbaum anders sehen“, die 2020 stattfand.