Die wenigsten wissen, dass Gustave Courbet (1819–1877) nicht nur einer der berühmtesten Maler des 19. Jahrhunderts, Protagonist des Realismus und Pate der modernen Malerei war, sondern auch streitbarer Revolutionär. Sein Schicksal war mit dem Sturz der Vendômesäule auf dem gleichnamigen Platz in Paris verbunden. Denn mit der Säule stürzte auch er und musste aus Frankreich fliehen. Wie kam es vor 150 Jahren dazu?

Für Touristen in Paris gehören der Louvre und das Musee d’Orsay zum Pflichtprogramm. Danach kann man die dringend notwendige Erholung in den weitläufigen Gartenanlagen der Tuilerien suchen und die Wahrscheinlichkeit, dass einem nach der musealen Pracht eher der Sinn nach Gastronomie oder Shopping steht, denn nach historisch bedeutungsschweren Plätzen ist groß. In Paris ist es allerdings fast unmöglich, der Geschichte auszuweichen; vor allem, wenn es um die zahlreichen Spuren revolutionärer Umwälzungen geht.

Vorbei an den sündhaft teuren Edelboutiquen der Castiglione de la Paix, wo man Schuhe für 1.000 oder Nagelpflegeetuis für 400 Euro und andere überlebenswichtige Güter kaufen kann, stolpert man unversehens auf den Place Vendôme. Hier leisten sich Kosmetikkonzerne und Nobelmarken repäsentative Adressen.

Im Widerschein ihrer großen Fensterfronten sieht man zwar die berühmte Colonne Vendôme in den Himmel ragen, aber die Vorstellung, dass sich hier einst dramatische Szenen abspielten und das Schicksal des Malers Gustave Courbet eine traurige Wendung nahm, fällt angesichts der luxuriösen Geschäfte einigermaßen schwer. Man fragt sich allenfalls, ob man die Säule, die den Platz ziert, nicht schon mal in Rom gesehen hat.

Place Vendôme und die einst umkämpfte Säule

Napoleon hatte die Bronzesäule 1809 aus 1.200 erbeuteten feindlichen Geschützen gießen lassen. In einem sich empor schraubenden Fries werden hier in einer dargestellten „Colonne de la Grande Armée“ die napoleonischen Kriegserfolge verherrlicht. Die Vendômesäule ließ Bonaparte an einer Stelle platzieren, die vor der Französischen Revolution 1789/1790 von einem Standbild des Königs dominiert worden war. Und formal ist sie tatsächlich der antiken römischen Trajanssäule nachempfunden.

Obenauf plante man ursprünglich eine Statue Karls des Großen, doch entschied sich der kriegerische Kaiser dafür, selbst als „Cäsar“ auf der Säule verewigt zu werden. Nach Napoleons Sturz ließen die zurückgekehrten Bourbonen die Figur einschmelzen, doch 1831 entstand sie als Soldaten-Napoleon auf Wunsch des „Bürgerkönigs“ Louis Philippe I. neu.

Der Napoleon-Neffe Louis Napoleon befahl in seiner Amtszeit als Napoleon III. 1863 dann wieder den alten Cäsar-Napoleon aufzusockeln. Allen republikanisch gesinnten Franzosen galt das Objekt als verhasstes Symbol der Monarchie. Karl Marx sagte schon 1852 den Sturz der Säule voraus – als gewalttätige Reaktion des Volkes auf die monarchischen Ambitionen des Napoleon-Neffen Louis Napoleon. Doch es sollte noch knapp 20 Jahre dauern, bis das Monument wirklich fiel. Aber eins nach dem anderen …

Wofür steht Courbet noch mal?

Kennengelernt haben wir Gustave Courbet in der Schule als Protagonist des Realismus und als Impulsgeber der modernen Malerei. Die meisten finden ihn langweilig, weil er im Unterricht bis heute mit seinem Gemälde Die Steinklopfer von 1849 vorgestellt wird, dessen Besonderheit heute nicht mehr ohne weiteres nachvollzogen werden kann. Zudem ist das Bild im Zweiten Weltkrieg zerstört worden und liegt nur in einer mäßigen Reproduktion vor. Dabei bieten Courbets Kunst und sein Wirken als Persönlichkeit mehr Anlass für eine weitergehende Beschäftigung als so manch zeitgenössische Kunst.

Courbet und der dramatisch inszenierte Selbstzweifel
Gustave Courbet, Selbstbildnis als Verzweifelter, 1843

Als Sohn eines wohlhabenden Bauern aus Ornans (Ostfrankreich) war er finanziell unabhängig. Er kam eigentlich nach Paris, um Jura zu studieren. Doch wie so viele andere wollte er doch lieber Künstler werden. Einiges hatte er sich schon selbst beigebracht, in Paris studierte er an einer privaten Akademie, machte Naturstudien und kopierte berühmte Gemälde im Museum, um zu lernen. Courbet sorgte mehrfach für Skandale in den Salons und erwarb sich damit einen Ruf als kompromissloser und willensstarker Künstler.

1850 stellte er im Salon besagtes Gemälde Die Steineklopfer und eines seiner Hauptwerke aus – Ein Begräbnis in Ornans. Niemand vor ihm hatte die Gesichter und die mühevolle alltägliche Arbeit dieser Bauern und Arbeiter so ungeschönt dargestellt und dem Pariser Bürgertum vor die Nase gesetzt.

Für großes Aufsehen sorgte Courbet anlässlich der Pariser Weltausstellung 1855: Gegenüber dem Ausstellungsgelände präsentierte Courbet einen eigenen, selbst finanzierten Pavillon mit seinen Gemälden. Am Eingang des Pavillons stand groß das Schlagwort der neuen Richtung: „Le Réalisme“.

Auslöser für diesen Auftritt war die Tatsache, dass drei von vierzehn für die Ausstellung eingereichten Arbeiten des Künstlers nicht angenommen worden waren, darunter Werke, die Courbet auf jeden Fall zeigen wollte. So stellte er kurzerhand die Autorität der Ausstellungsorganisatoren in Frage. Den Begleittext des Katalogs, den er zu der Schau veröffentlichte, nannte er das Manifest des Realismus: „Weder wollte ich die einen imitieren noch die anderen kopieren; noch weniger war mein Ziel ein triviales ›l’art pour l’art‹! Nein! … nicht nur ein Maler zu sein, sondern zugleich ein Mensch kurz, eine lebendige Kunst zu schaffen – das war mein Ziel.“

Courbet - Ein Begräbnis in Ornans
Gustave Courbet, Ein Begräbnis in Ornans, 1849-1850. Musée d’Orsay, Paris

Ein Begräbnis in Ornans ist ein gutes Beispiel für Courbets provokante Kunstauffassung. Das riesiges Gemälde wirkt zunächst widersprüchlich: Da will Courbet doch „lebendige Kunst“ schaffen, doch das Bild wirkt alles andere als lebendig – und auch nicht besonders realistisch. Gemalt ist es mit einem breiten, markigen Pinselstrich, ohne große Liebe für Details. In der Regel wird auch heute noch angenommen, dass sich der Realismus durch eine besonders plastische und täuschende Abbildung der Wirklichkeit auszeichnet.

Tatsächlich aber ging es den Realisten nicht um die naturgetreue Wiedergabe. Im Begräbnisbild von Courbet erkennt man sogar starke Vereinfachungen. So verzichtete der Maler auf eine überzeugende Stofflichkeit etwa in der Kleidung und im Hintergrund. Zudem schiebt er hier Szenen zusammen, die nicht gleichzeitig stattgefunden haben konnten. Der Sarg wird von den kaum zu erkennenden Trägern herbeigeschafft, gegenüber stehen zwei Männer in Kniebundhosen am Grab, von denen einer entsprechend des verbreiteten Brauchs schon im Begriff ist, ein Häufchen Erde auf den ins Grab gelassenen Sarg zu werfen.

In seiner Größe beanspruchte das Bild den Status eines wichtigen Historiengemäldes. Doch hier wird kein König und kein Kaiser beigesetzt. Es ist irgendein Begräbnis in einer französischen Provinzstadt, deren Namen viele Pariser nicht einmal kannten. Courbet notierte zur Entstehung des Bildes: „Modell gestanden haben: Der Bürgermeister, der 400 Pfund wiegt, der Pfarrer, der Friedensrichter, der Kreuzträger, der Notar, meine Freunde, mein Vater, die Chorbuben, der Totengräber, zwei Veteranen der Revolution von 1793 im Zeitkostüm, ein Hund, der Tote, seine Träger und die Kirchendiener, wovon einer eine Nase hat, wie eine Kirsche, aber proportioniert dick und von ca. 5 Zoll Länge.“

Ohne jede Idealisierung sind die Figuren in Lebensgröße dargestellt. Besonders erregte das Publikum, dass der Priester auf dem Bild einen dümmlichen, zumindest nicht gerade einen trostspendenden Eindruck macht. Die Küster in den roten Gewändern erschienen mit ihren Säufernasen nicht minder skandalös. Wollte sich Courbet etwa über die Kirche lustig machen?

Auf den ersten Blick dominiert die Reihe schwarzer Figuren, was auf den Betrachter abweisend wirken musste. Der harte Gegensatz zwischen der feinen Gesellschaft kunstinteressierter Pariser Bürger und den plumpen bäuerlichen Gestalten war von Courbet bewusst gewählt worden. Noch heute macht das Bild auf Besucher des Musée d’Orsay in Paris einen eher abweisenden Eindruck.

Bis heute kein Publikumsliebling: Gustave Courbet, Ein Begräbnis in Ornans, wie es im Musée d’Orsay präsentiert wird

Damals mussten die Figuren mit ihren vom Leben gezeichneten Gesichtern wie ein Schlag vor den Kopf des Betrachters gewirkt haben, zumal das Publikum in Erwartung von „schönen“ Meisterwerken in den Salon geströmt war. Nach dem ersten Schock suchten die Zeitgenossen Courbets Bild nach einer harmonischen Komposition ab, wie sie es bei älteren Gemälden gewohnt waren. Fündig wurden sie hier jedoch nicht.

Rätselhaft bleibt auch, was das eigentliche Thema des Werkes ist. Die Bestattung einer wichtigen Persönlichkeit kann es nicht sein; es handelt sich zwar um ein Begräbnis, doch wessen, scheint gleichgültig. Tod und Vergänglichkeit werden in dieser kalten Darstellung auch nicht verhandelt. Der Schädel an der Grabkante mag Erinnerungen an Stillleben aufkommen lassen, in denen ein kunstvoll inszenierter Totenschädel an die Vergänglichkeit menschlichen Lebens erinnert.

Doch hier liegt der Schädel zufällig herum, wie ein Stein im Dreck. Das Ausheben der Grube hat ihn zutage befördert, was aber offensichtlich niemanden weiter kümmert. Eine teilnahmslosere Schilderung von Tod und Vergänglichkeit kann man sich kaum vorstellen. Das Bild wirkt, als wollte Courbet alle Erwartungen des Kunstpublikums enttäuschen. Es ist der besondere Clou des Bildes, dass es einen religiösen Brauch zum Gegenstand hat. Und es ist kein Zufall: im Mittelpunkt klafft ein schmuckloses Loch.

Courbet bei der Arbeit, ca. 1863

Alle Ideale der Malerei schienen mit diesem Bild beerdigt zu werden. Courbet wollte Schluss machen mit der Versessenheit nach antiken Mythen und den sehnsüchtigen Orientfantasien in der Kunst. Sie sollte kein Trostspender sein, sondern eine Möglichkeit, das Publikum zu verstören und es aus der Routine beim Anschauen von Kunstwerken zu reißen. Dazu kamen ihm alle Mittel gerade recht, die seine Kunst aus dem Blick der traditionellen Kunstanschauung als hässlich erscheinen ließ. Falscher Glanz passte ihm nicht ins Konzept.

Nicht die Kirche war das Ziel von Courbets Angriff: Die Kunst selbst war Gegenstand seiner Attacke. Kein Wunder also, dass manche Zeitgenossen heftig auf seine Malerei reagierten, andere in ihm gar einen Bilderstürmer sahen, der nicht nur die Regeln der Akademie verletze, sondern die Kunst selber mit solchen Bildern zerstöre.

Aber dieser Vorwurf wird Courbet nicht gerecht. So wurde er von nachfolgenden Künstlergenerationen verehrt, weil er eben auch ein begnadeter Maler war und die Farbe wie keiner vor ihm behandelte. Seine Technik trainierte er an vielen unterschiedlichen Sujets. Auch wenn vor allem seine Skandalbilder bekannt sind, besteht sein Œuvre zu großen Teilen aus Landschaften, Wäldern und Seestücken, die den Farben und seiner Technik freien Lauf lassen. Den Farbauftrag perfektionierte Courbet neben dem Pinsel auch mit dem Spachtel bzw. Palettmesser. Das ist sehr gut an folgendem Gemälde, Windstoß im Wald von Fontainbleau, zu studieren.

Gustave Courbet, Windstoß im Wald von Fontainebleau (Le coup de vent, forêt de Fontainebleau), ca. 1865, 146.7 × 230.8 cm. Heute zu sehen im MFA Houston
Detailansicht 1
Detailansicht 2

Courbet und der Kaiser

Courbet galt als politischer und radikaler Künstler, obwohl seine Einstellung oftmals diffus blieb. Seine Haltung zur Revolution von 1848 war unklar. Er beteiligte sich nicht an den Kämpfen, weil er seine Karrierepläne nicht aufs Spiel setzen wollte. In Briefen an seine Eltern bezeichnete er sich lieber als „geistigen Kämpfer“. Von den angekündigten Sozialreformen Louis Napoleons war Courbet anfangs wohl noch angetan, doch als der Präsident in einem gewalttätigen Staatsstreich im Dezember 1851 verfassungswidrig die Macht ergriff und sich ein Jahr später zum Kaiser Napoléon III. kürte, wurde er Courbets Feind.

Zahlreiche Vertreter der politischen und intellektuellen Opposition wurden verhaftet oder verbannt. Courbet, der von der Polizei nach dem Staatsstreich zeitweilig beobachtet wurde, inszenierte sich in den folgenden Jahrzehnten als Gegenspieler des Regenten, stellte sich als Opfer kaiserlicher Repression dar und trat immer wieder mit antiklerikalen und sozialkritischen Kunstwerken hervor.

Aber auch jenseits der Kunst setzte der längst berühmte Künstler Signale. 1864 wurde er Mitglied der Ersten Internationalen Arbeiterassoziation. Er gehörte zu den führenden und renommiertesten Künstlern des internationalen Kunstbetriebs mit zahlreichen hochkarätigen Ausstellungen. Im deutsch-französischen Krieg (1870–1871) schrieb er offene Briefe an die deutschen Künstler und das deutsche Heer. Courbet kritisierte die Einmischung des Kaisers in die Kunstpolitik und engagierte sich während der Revolution von 1871.

Für die Revolutionäre der Pariser Commune war er eine prominente Verstärkung und eine kulturelle Gallionsfigur. Die Kommunarden versuchten, gegen den Willen der konservativen französischen Zentralregierung eine sozialistische Gesellschaftsordnung in Paris durchzusetzen.

Courbet, Pierre Joseph Proudhon (1809-65) und seine Kinder 1853, 1865
Gustave Courbet, Pierre Joseph Proudhon (1809-65) und seine Kinder, 1865. Musee du Petit-Palais

Nach der Niederlage im deutsch-französischen Krieg 1870/71 und der Gefangennahme des französischen Kaisers Napoleon III. wurde dieser im Herbst 1870 in Abwesenheit abgesetzt. Zur gleichen Zeit wurde Courbet Vorsitzender der Künstlervereinigung, bald darauf Präsident der Kommission zum Schutz der Denkmäler und Mitglied im Rat der Pariser Commune.

Courbet schützte Kraft seines Amtes zwar den Louvre, ließ dem Bildersturm gegen kaiserliche Symbole aber weitgehend freie Bahn. Die Vendômesäule schätzte Courbet als künstlerisch wertloses, zudem kriegsverherrlichendes und damit nicht schützenswertes Objekt ein und schlug schon am 14. September 1870 öffentlich ihre „déboulonnage“ vor, was außer Abriss auch ein Abschrauben und Versetzen bedeuten konnte.

Place Vendôme in Paris, Sturz der Vendômesäule am 16. Mai 1871 in einem Bild von Francis Coates Jones

Die endgültige Entscheidung zur spektakulären Demontage traf man ohne Courbets Mitwirkung ein halbes Jahr später, nachdem die Commune am 18. März 1871 die Macht auf den Pariser Straßen übernommen hatte. In einer aufwändigen Inszenierung wurde am 15. und 16. Mai 1871 unter Ertönen von Fanfarenklängen der Sturz der Säule gefeiert.

Napoleons Statue im Caesarenlook erlegt zu Füßen der Kommunarden

20.000 Zuschauer sollen dieser öffentlichen „Hinrichtung“ beigewohnt haben. Courbet musste dafür jedoch später die politische und finanzielle Verantwortung tragen, obwohl er kein Bilderstürmer war. Er geriet durch ungünstige politische Umstände in die Mühlen der Justiz.

Pariser Kommune: Die Revolte der Arbeiterbewegung in einem Arte-Spot vereinfacht erläutert

Weitere Kulturdenkmäler und Palais wurden in den folgenden Tagen attackiert: Eine Volksmenge plünderte die Tuilerien und sprengte den einstigen Kaiserpalast. Auch der Palast der Ehrenlegion, die Bibliothek des Louvre und das Hôtel de Ville wurden angezündet. Doch schon zwei Wochen später war die Commune geschlagen und somit Geschichte. 

Böses ahnend, hatte sich der sonst wenig scheue Maler seit dem Beginn der Kämpfe versteckt, wurde aber bereits nach wenigen Tagen denunziert und in Paris verhaftet. Als offizieller Kunstbeauftragter der geschlagenen Commune kam Courbet vor Gericht. Man lastete ihm im Rahmen seines Amtes als Präsident der Denkmalschutzkommission die Verantwortung für den Sturz der Vendômesäule an und verurteilte ihn am 2. September 1871 zu sechs Monaten Haft im politischen Gefängnis Sainte-Pélagie sowie zu einer Geldstrafe von 500 Francs.

Drei Monate später wurde er aus gesundheitlichen Gründen auf Bewährung in ein Krankenhaus entlassen. Doch was zunächst wie ein gnädiger Umgang mit dem berühmten Künstler wirkte, sollte ein für Courbet fatales Nachspiel haben. Nichts weniger als seine öffentliche Demontage als Künstler wurde nun in Gang gesetzt.

In den beiden folgenden Jahren machte der Staat gewaltige Schadensersatzansprüche gegenüber Courbet geltend. Wegen einer neuerlichen Geldstrafe in Höhe von 13.000 Francs beschlagnahmte man die Bestände seines Galeristen Paul Durand-Ruel. Seine Bilder wurden im 1872er Salon zurückgewiesen, obwohl das einen offenen Regelverstoß gegen den mehrfachen Medaillengewinner darstellte, der bis dahin Juryfreiheit genoss.

Doch seine Malerfreunde Whistler, Henner und Puvis de Chavannes konnten sich nicht gegen den konservativen Ernest Meissonier durchsetzen. Hier ging es nicht um Kunst, sondern um Politik, was sich auch darin widerspiegelte, dass ein Jahr später der Prozess gegen Courbet wieder aufgenommen wurde.

Das einst enge Verhältnis zur Presse, das seinen Aufstieg begünstigte, kehrte sich zu seinem Nachteil. Ganze Serien gehässiger Artikel und Karikaturen erschienen.

Courbet in einer Karikatur, die ihn als Umstürzer der Urinale in Paris zeigt

Frühere Unterstützer wie Champfleury oder Francis Wey distanzierten sich von Courbet. Selbst sein Sammlerfreund Bruyas rückt von ihm ab, indem er seine Sammlung neu ausrichtete und Courbets Position darin stark abwertete.

Infolge der nun schwierigen wirtschaftlichen und persönlichen Lage engagierte Courbet einige mittelmäßig talentierte Mitarbeiter (u. a. Francois Cornu, Marcel Ordinaire, Cherubino Pata und Alexandre Rapin), um Gemälde in großer Zahl herstellen zu können. Doch es sollte noch schlimmer kommen. 1873 verfügte der Finanzminister die Beschlagnahme von Courbets ganzem Besitz. Jetzt wurde dem angeschlagenen Künstler klar, dass es für ihn keine Zukunft mehr in Frankreich gab.

Um wenigstens etwas von seiner Habe und seiner Würde zu retten, floh er am 23. Juli 1873 in die Schweiz. Dort malte er ein Selbstbildnis, das ihn in der Haft in Sainte-Pélagie zeigt: Sein jugendliches Erscheinungsbild verblüfft, Courbet stellte sich schlank dar, mit dunklem, vollem Haar und in entspannter, wenngleich melancholischer Nachdenklichkeit.

Gustave Courbet, Selbstportrait im Gefängnis Sainte-Pélagie, ca. 1872 zu sehen im Musée Courbet, Ornans

1874 wurde Courbet in Abwesenheit zu einem fabulösen Schadensersatz in Höhe von 323.091 Francs verurteilt  – die Summe, die die Behörden zur Wiedererrichtung der Säule veranschlagten. Zurückgezogen in La Tour-de-Peilz lebend, wo Courbet sich ein altes Gasthaus gekauft hatte, arbeitete er mit seinem Assistenten Cherubino Pata (1827-1899) weiter, doch während der Meister selbst keine Werke aus der Schweiz nach Frankreich exportieren konnte, kursierten dort immer mehr Courbetfälschungen.

Den tiefen Sturz konnte Courbet nur schlecht verkraften; von Einsamkeit, Ansehensverlust und der finanzielle Not gepeinigt, gab sich der einst so agile und einflussreiche Maler immer mehr dem Alkohol hin und starb 1877 im Alter von nur 58 Jahren. Im gleichen Jahr versteigerte die französische Regierung seine beschlagnahmten Werke – für den Wiederaufbau einer Säule, die schon bei ihrer Errichtung eine Kopie, eine Lüge war.



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