Monumentalbildhauer scheinen eine ausgestorbene Gattung des 20. Jahrhunderts zu sein: Die faschistischen wie die sozialistischen Regime hatten großen Bedarf nach willigen Könnern, die gigantische Heldendenkmäler und Kolossalstatuen von Parteiführern liefern konnten. In Deutschland und vielen anderen Ländern hat man mit Großplastiken deshalb ein Problem.

Kolossalstatuen zur Verherrlichung historischer oder religiöser Gestalten sind zusammen mit staatstragender Wandmalerei und Propaganda-Grafik die Hauptdisziplinen einer Kunst, die sich in den Dienst von Ideologien stellte bzw. stellt und gilt weithin als totalitäres Erbe, als Zeichen geistiger Unfreiheit. Beispiele dafür lieferten die Kaiserzeit, das Dritte Reich und die DDR zuhauf – der Bedarf an Monumentalbildhauern und Heldengestalten aus Stein, Stahl oder Bronze scheint daher zumindest in der gegenwärtigen Bundesrepublik gedeckt zu sein.

Eine merkwürdige Anfälligkeit für monströse Großplastiken haben sich hingegen die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs bewahrt. Hier gilt nach wie vor das hemmungslose Prinzip der Bedeutungsproportion. Die Hauptstadt der USA Washington D.C. beispielsweise ist bekanntermaßen von Imponierbauten und Riesenskulpturen regelrecht übersät.

Das Denkmal für den Bürgerrechtler Martin Luther King in Washington D.C. wurde vom chinesischen Monumentalbildhauer Lei Yixin entworfen.

In Russland konnte der Monumentalbildhauer Surab Zereteli (geb. 1934, in Englisch wird sein Name „Zurab Tsereteli“ geschrieben) seine Karriere auch nach dem Ende des Systemgegensatzes ungebremst fortsetzen. Er steht in der sowjetischen Tradition der Monumentalbildhauer und folgte als „Spätgeborener“ berühmten Vorgängern wie Jewgeni Wutschetitsch (1908–1974), der beispielsweise die Kolossalstatue für das Sowjetische Ehrenmal im Treptower Park (Berlin) schuf.

Detail des Sowjetischen Ehrenmals im Treptower Park in Berlin. Foto mit Dank an Denis Apel, Wikimedia

Surab Zereteli legte eine steile Karriere hin, erfüllte zahlreiche Staatsaufträge und konnte als Chefkünstler des sowjetischen Außenministeriums viele sowjetische Botschaftsgebäude mit seiner Kunst bestücken.

Mit den Möglichkeiten wuchsen die Bedürfnisse. So interessierte sich Zereteli schon in den 1970er Jahren für die Schaffung kolossaler Werke, die in der Öffentlichkeit stehen und von mehr Leuten gesehen werden als von Apparatschiks und KGB-Beamten. Wer möchte es einem Künstler verdenken?

1979 – da wurde vom Ende des Kalten Krieges zwischen der UdSSR und den USA noch nicht einmal geträumt – landete Zereteli seinen ersten internationalen Streich, und das ausgerechnet in den USA. Anlass war die Austragung der fünften Ausgabe der Special Olympics in Brockport, einem kleinen Ort mit Universität im Bundesstaat New York.

Surab Zeretelis erste Kolossalplastik bringt es auf 30 Tonnen. Sie wurde mit fünf Trucks angeliefert und steht auf dem Universitätscampus von Brockport im Bundesstaat New York, USA. Sie heißt übersetzt Freude für die Jugend der Welt.

Auf den fünf um ein Wasserspiel aufgestellten Bronzekonstruktionen sind zwischen Sonne, Mond und Sternen Sport treibende Athleten und Athletinnen im Flachrelief zu erkennen. In der Mitte des Wasserspiels befindet sich ein ebenfalls aus Bronze gefertigte Kugel, darauf erhabene Sterne und Tauben.

Obwohl dieses 15 Meter hohe Werk des Monumentalbildhauers ein Paradebeispiel für sowjetische Stilistik darstellt, ist Zereteli durchaus flexibel in seiner Formgebung. Man könnte auch sagen, dass er keinen klaren Stil hat. Seine Kolossalstatuen sind immer nach detailliert ausgedachten Konstruktionsplänen umgesetzte Symbolmonster, die kein Nachdenken erfordern, sondern durch Größe, Umfang und Materialeinsatz beeindrucken sollen.

Prometheus, der ebenfalls als Geschenk aus der UdSSR auf dem SUNY Campus von Brockport landete, ist mit 20 Metern noch größer. Man könnte denken, hier war ein anderer Künstler am Werk, aber diese Kolossalstatue stammt auch von Zereteli.

Prometheus in Brockport von Monumentalbildhauer Zurab Tsereteli
Zeretelis Prometheus auf dem Universitätscampus in Brockport, New York. Foto mit Dank an die Drake Library
Teile von Prometheus von Monumentalbildhauer Surab Zereteli werden von Arbeitern mühsam abgeladen und transportiert
Die Mühen beim Aufstellen einer Kolossalstatue – Foto mit Dank an Mary Kallen

Diese Episode ist typisch für den Monumentalbildhauer Zereteli und diente seither als Blaupause für das spätere Vorgehen beim weltweiten Aufstellen seiner monumentalen Werke. In den folgenden Jahrzehnten bot er seine Werke zu besonderen Anlässen Institutionen oder Gemeinden als Geschenke der UdSSR und später Russlands an – oft in Kooperation mit der Führungsriege Russlands.

Zereteli hat die Moskauer Olympiade 1980 künstlerisch begleitet, unzählige Gebäude der Sowjetunion mit seinen Werken dekoriert und so ein Vermögen gemacht. Es gelang ihm stets, enge Kontakte zur Führungsriege der UdSSR und später Russlands zu wahren.

Zeretelis Rezept – Nähe zur Macht

Im Stadtzentrum Moskaus präsentiert sich heute die Zereteli-Galerie staunenden Touristen und Einheimischen. Auch in der georgischen Hauptstadt ist Tsereteli mit einem Museum vertreten, da er georgische Wurzeln hat.

Der langjährige Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow war ein wichtiger Förderer des Monumentalbildhauers und ermöglichte ihm fortwährend große Projekte, wie etwa die Kolossalstatue für Peter den Großen, das mit 96 Metern Höhe höher als die Freiheitsstatue ist und seither die Skyline des Moskauer Zentrums dominiert.

Peter der Große: Ein umstrittenes  Werk von Monsterbildhauer Zereteli.
Peter der Große – ein weiteres umstrittenes Werk von Monumentalbildhauer Zereteli.  Foto mit Dank an Stan Shebs, Wikimedia

Ursprünglich stellte die Skulptur Christoph Kolumbus dar. Doch weder die USA, die Dominikanische Republik, noch Venezuela oder Brasilien wollten das monumentale Werk zum 500. Jahrestag der Entdeckung Amerikas haben. Da setzte Zereteli einfach einen neuen Kopf darauf und schenkte das Denkmal seinem Freund Luschkow.

Die ursprüngliche Idee eines Kolumbusdenkmals auf einer russischen Briefmarke.

Aber Zereteli lässt nicht locker, wenn es darum geht, die Welt mit seinen Monumenten zu bestücken und über die Menschen zu bringen – ob sie wollen oder nicht. So dauerte es über ein Vierteljahrhundert, um das Projekt „Christoph Kolumbus“ doch noch zu realisieren.

Geburt einer neuen Welt, so der Name der 126 Meter (!) hohen Kolossalstatue, konnte der Monumentalbildhauer 2016 schließlich Puerto Rico andrehen, immerhin doch irgendwie in den USA – natürlich wieder als Geschenk, natürlich ohne öffentlicher Ausschreibung und natürlich gab es auch in Puerto Rico heftige Proteste gegen das völlig aus der Zeit gefallene Objekt.

Die „neue Welt“ aus 2.750 bronzenen und stählernen Einzelteilen kommt halt nicht ohne Druck und Hinterzimmerkungelei. Und schon gar nicht ohne den peinlichen Kitsch, für den Zereteli in seiner Heimat angeblich als „Kitsch-Genie“ belächelt und kritisiert wird.

Aber Zereteli weiß, was wirklich zählt: „Das ist eine wichtige Sache für Puerto Rico. Es gibt keine größere Skulptur in Europa oder der Welt. Deshalb kann Puerto Rico froh darüber sein.“ Auch in Sevilla steht mittlerweile eine weitere Version seines Christoph Kolumbus. In der spanischen Stadt ragt er „nur“ 45 Meter in den Himmel.

Dem langjährigen Staatschef Wladimir Putin biederte sich der Monumentalbildhauer indes mit einer überraschend filigranen Bronzeplastik an, die das Staatsoberhaupt als virilen Judo-Kämpfer zeigt und – kaum überraschend – sogar menschlicher wirkt als das Original.

Jede neue Schöpfung Zeretelis provozierte in den vergangenen Jahren aber auch eine Welle der Empörung gegen den Künstler. Intellektuelle forderten zeitweilig (aber bis heute erfolglos) die »De-Zeretelisierung« Moskaus. Pläne des Bildhauers, in St. Petersburg Denkmäler aus eigener Produktion aufzustellen, brachte die intellektuelle Stadtgesellschaft auch dort auf die Barrikaden.

Aber wer denkt, dass das Kapitel der Monumentalbildhauer mit dem betagten Zereteli enden wird, irrt. Längst steigen neue Künstler wie Andrej Korobzow auf, um den Bedarf zumindest in Russland zu decken. Sein 2020 eingeweihtes Denkmal für den sowjetischen Soldaten in Rschew 200 km westlich von Moskau spielt mit 25 Metern Höhe definitiv in der Zereteli-Liga (es ist eine Ko-Produktion mit dem Architekt Konstantin Fomin). Hier der Künstler mit dem Kopf der Statue.

Monumentalbildhauer und Konditionsmonster

Um die Ausdauer und Arbeitswut Zeretelis ranken sich Legenden, die schon in der Sowjetära entstanden. So schlafe der agile Künstler nie mehr als fünf Stunden pro Nacht und male sogar während der Sitzungen der russischen Akademie der Künste, deren Präsident er ist.

Von einer zehntägigen Reise durch den russischen Norden brachte er angeblich einmal mehr als 30 Bilder mit, die er in den Pausen zwischen Treffen, Verhandlungen, Gesprächen und Saufgelagen gemalt hatte. Er selbst behauptet stolz, über 5.000 Bilder gemalt zu haben.

Selbstbewußt und erfolgreich: Monsterbildhauer Tsereteli
Der unverwüstliche Monumentalbildhauer Surab Zereteli. Foto von 2010 mit Dank an Valerij Ledenev, Flickr

Als er der Stadt Moskau 2005 ein weiteres Denkmal schenken wollte, rührte sich massiver Protest von allen Seiten, was die Neigung der Künstlers, seine Werke weltweit zu verschenken, noch verstärkte. In Deutschland hingegen kann man sich manchmal nur wundern, wie leise der Protest gegen niveaulose Skulpturen oder Bauten im öffentlichen Raum bleibt. Unsere Überlegungen dazu findest du hier und hier.

Enorme Produktivität – enormes Talent? Zeretelis Bilder-Universum (2015)

Alarm! Der Monumentalbildhauer nimmt Kurs auf New York

New York lehnte sein 150 Tonnen schweres und 36 Meter hohes Mahnmal für die Opfer des Terroranschlags vom 11. September 2001 entsetzt ab – immerhin gibt es in New York von dem Monumentalbildhauer schon ein Werk. Seit 1990 steht die 16 Meter hohe und an den Kampf des heiligen Georg gegen einen Drachen erinnernde Skulptur Das Gute besiegt das Böse am UN-Gebäude. Es war ein Geschenk der Sowjetunion anlässlich des 45. Jubiläums der UNO.

Doch Zereteli fand die Kleinstadt Bayonne im nahen New Jersey, die sich mit seiner gigantischen Träne – Dem Kampfe gegen den Terrorismus – beglücken ließ. Wie erwähnt zählen kleine Gemeinden zu seinen beliebtesten Opfern, sie können sich gegen seine Gaben am schlechtesten wehren. Seit 2006 steht sein 9/11-Mahnmal, eine aufgerissene Bronzestele mit fallender Träne aus poliertem Stahl, immerhin am anderen Ufer des Hudsons, Manhattan und die Freiheitsstatue (einst ein Geschenk Frankreichs) direkt im Blick.

Die Inspiration zu dem monströsen Werk kam dem Künstler angeblich gleich am Tag der Anschläge: »Die Träne, die aus meinem Auge kam und herabfiel, gab mir die Idee zu diesem Monument.« Bezeichnend für Zeretelis Kolosse – irgendwie sehen sie immer so aus, als habe ein eifriger Schüler seine allererste Idee zu einem Thema in zig Tonnen Stahl, Bronze oder Stein verwandelt. Aber wie heißt es so schön: Es ist ganz leicht, Ideen zu haben. Die Schwierigkeit besteht darin, die Guten von den Schlechten zu unterscheiden.

Kritiker spotteten, das zwölf Millionen Dollar teure Objekt sehe aus der Ferne aus wie ein gigantisches Stück Tee-Gebäck. Putin kam persönlich zur Einweihung und sprach vor 300 Bewohnern des Städtchens.

Ganz auf eigene Faust schien der Bildhauer seine Monument-Mission also doch nicht durchgeführt zu haben. Der hochglanzpolierte Stahl kam beispielsweise aus einer russischen Militärfabrik, eine Inschrift am Sockel des Werks verrät: »Ein Geschenk des Russischen Volkes – Wladimir Putin«. Woher die Mittel für das Monument stammten, blieb im Dunklen.

Zereteli – ein vorläufiges Fazit

Die Erde dreht sich weiter und Zereteli, nach dem bereits ein kleiner 1970 entdeckter Planet des Sonnensystems benannt wurde, auch. Der kleinen Gemeinde Ploermel in der Bretagne schenkte der russische Monumentalbildhauer 2006 eine neun Meter hohe Plastik, die Papst Johannes Paul II darstellte. Nur den Sockel mussten die Franzosen selber gießen.

Eine Bürgerinitiative protestierte gegen diese Zweckentfremdung von Steuergeldern für eine katholische Kultstätte. Vergebens – der Bürgermeister setzte auf eine Imageverbesserung des Ortes und auf Touristen. Doch der Widerstand gegen diese Statue hielt an, zumal es in Frankreich seit 1905 untersagt ist, religiöse Symbole auf öffentlichen Plätzen aufzustellen. Das Denkmal wurde 2018 auf ein nahe gelegenes Gelände umgesetzt, das der Katholischen Kirche gehört.

Der Großbildhauer bietet heute das paradoxe Beispiel eines reich gewordenen Staatskünstlers, dem der totalitäre Auftraggeber abhanden gekommen war, und der seine Stein- und Bronzegebirge verschenken musste, damit sie in die Welt kommen. Doch viele der Betroffenen handelten nach der Devise: „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul!“ – Zeretelis Monumente stehen inzwischen in vierzehn Ländern.

Und wer sich jetzt fragt, ob Großbritannien bzw. London auch zu den Stützpunkten des Monumentalbildhauers gehört: Ja, auch die für ihre Denkmäler, Skulpturen und Monumente berühmt-berüchtigte Stadt an der Themse hat längst ihr fettes Stück Zereteli abbekommen.

Es nennt sich Break the Wall of Distrust, stammt aus der späten Perestroika-Ära 1990 und ist mit vier Metern Höhe gewissermaßen ein Baby-Zereteli. Aber keine Panik: Mönströs ist auch diese Kolossalstatue, die wir uns hier als Cherry on the Cake für den Schluss aufbewahrt haben:

From Russia with Ugh – die Londoner Kolossalstatue vom Monumentalbildhauer und „The People’s Artist of the USSR“ Surab Zereteli. Sie steht in der Cannon Street. Bild mit Dank an Beata May, Wikimedia


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