Rembrandts Kunst war nicht auf den Alltag in der Niederlande beschränkt – er kann auch als Zeuge der ersten großen Globalisierung gelten. Die Seefahrtsnationen Portugal, Spanien und Niederlande trieben diese in der frühen Neuzeit voran. Über ein weit verzweigtes Netz von Handelsbeziehungen und Stützpunkten strömten Menschen, Waren und Kunstgegenstände um die Welt.

Während Gewalt und Ausbeutung die Schattenseite der frühen Globalisierung bildeten, fand in der Kunst auch ein produktiver Austausch von Bildmotiven und künstlerischen Techniken statt. Rembrandt Harmenszoon van Rijns (1606–1669) Kunst gibt davon Zeugnis.

Ausstellungen von Alten Meistern der Kunstgeschichte drehen sich allzu oft hermetisch um das Werk des Künstlers oder um Fragen der Zuschreibung und etwaiger Fälschungen. Umso schöner, wenn der Blick auch mal auf die gesellschaftliche Wirkung von Kunst und ihre Einbettung in historische und alltagskulturelle Zusammenhänge fällt. Insofern liefert die Ausstellung „Rembrandts Orient“, die zuerst im Kunstmuseum Basel und aktuell im Museum Barberini in Potsdam zu sehen ist, ein gelungenes Beispiel für die soziale Kontextualisierung eines Œuvres.

Schließlich sagen Rembrandts Werke auch viel über die damalige Gesellschaft, über ihren Wissenstand, ihre Moden und Mythen aus. Eine auffällige Modeerscheinung seiner Zeit war die Orientbegeisterung, die bis weit ins 19. Jahrhundert anhielt. Diese Begeisterung wurde aber nicht den tatsächlichen nahöstlich-muslimischen Staaten und Kulturen zuteil, sondern galt einer europäischer Fantasie bzw. Projektion.

Rembrandt Gemälde „Mann in orientalischem Kostüm“
Rembrandt van Rijn und Werkstatt (wahrscheinlich Govaert Flinck), Mann in orientalischem Kostüm, ca. 1635. National Gallery of Art, Washington D.C. (Andrew W. Mellon Collection)

Rembrandt als künstlerischer Zeuge der frühen Globalisierung

Der Orient galt protestantisch geprägten Europäern als sinnlich-archaischer Gegenentwurf zur heimatlichen puritanisch-rationalistischen Gesellschaft. Mit „Orient“ wurde verbunden: Gefühl, Ausschweifung, Übertreibung, Verschwendung und Altertümlichkeit. Faszination und Abscheu mischten sich dabei. Entsprechend wurden orientalische Bildmotive und Symbole auch aus moralischen Gründen verwendet.

Rembrandt, Musizierende Gesellschaft, 1626

Rembrandt deutete beispielsweise in seinem Bild Musizierende Gesellschaft aus dem Jahr 1626 mit dem Übermaß von Instrumenten, bunter Kleidung, Schmuck und nackter Haut Kritik an der Maßlosigkeit der niederländischen Gesellschaft an.

Rembrandt, Büste eines alten Mannes mit Turban, um 1627.
Rembrandt, Büste eines alten Mannes mit Turban, um 1627

Zudem diente die orientalische Kostümierung der Modelle als Gelegenheit, Originalität und künstlerische Virtuosität zu demonstrieren. So führt Rembrandt bei der Büste eines alten Mannes mit Turban (1627/29) seine meisterhafte Lichtregie vor, bei der Gesicht und Federschmuck spektakulär beleuchtet werden. Und bei einigen Selbstporträts legte der Maler auch selbst gerne orientalische Tracht an.

Rembrandt im orientalischen Look

Zur Darstellung biblischer Szenen verwendeten die Künstler der Neuzeit orientalische Attribute, weil der Nahe Osten geografischer Schauplatz der Bibelgeschichten war. Dabei diente den Neuzeit-Künstlern aber nicht die Antike, sondern der zeitgenössische Nahe Osten als Inspirationsquelle.

Rembrandts Zeitgenossen schätzten die Glaubwürdigkeit seiner biblischen Bildmotive, deren Figuren er stets in orientalischer Kostümierung zeigte, beispielsweise tragen die Schergen auf seinem Gemälde Steinigung des Heiligen Stephanus (1626) Turbane.

Rembrandt, „Steinigung des Heiligen Stephanus“ (1626) Musée des Beaux-Arts, Lyon.
Rembrandt, Steinigung des Heiligen Stephanus (1626) Musée des Beaux-Arts, Lyon.

Der orientalische Look resultierte aber weniger auf eigener Anschauung vor Ort, sondern aus der Nachahmung westlicher Darstellungen und der Fantasie des Künstlers. Nur die wenigsten Künstler jener Zeit, die orientalischen Genrebilder und Landschaften schufen, hatten den Orient tatsächlich bereist.

Stattdessen waren sie auf importierte Gegenstände, Kleidung oder Waffen angewiesen oder ließen eben ihre Fantasie spielen. So kombinierte Hans de Jode 1659 in seiner Ansicht des Topkapi-Palasts frei erfundene fernöstlich kolorierte Bergketten und schneebedeckte Hochgebirgsgipfel mit der osmanischen Stadtlandschaft.

Hans de Jode, Die Serailspitze in Konstantinopel (Topkapi-Palast), 1659  www.khm.at/de/object/2387337ba1/
Hans de Jode, Die Serailspitze in Konstantinopel (Topkapi-Palast), 1659  www.khm.at/de/object/2387337ba1/

Auch von Rembrandt sind keine Auslandsreisen überliefert, offenbar hat er die Niederlande nie verlassen. Doch die Welt kam in die Niederlande. Sein Wohnort Amsterdam mit seinen zahllosen Handelsvertretungen, Kontoren und internationalen Geschäftsleuten konnte im 17. Jahrhundert mit Recht als Weltstadt, als kosmopolitische Metropole bezeichnet werden, wo auch Asiaten und Afrikaner anzutreffen waren.

Heute schaut man mit kritischem Blick auf den Begriff „Orientalismus“ – ein Gespräch zwischen Anna von Rath und Michael Philipp anlässlich der Ausstellung „Rembrandts Orient“

Die Ausstellung „Rembrandts Orient“ versammelt neben einer Reihe von eigenhändigen Rembrandt-Werken auch Gemälde und Grafiken seiner Werkstatt und weiterer Künstler der Epoche. Auffällig ist die starke Präsenz von Radierungen Rembrandts, die auf Schenkungen des Schweizer Auktionators und Kunstexperten Eberhardt Kornfeld an das Kunstmuseum Basel zurückgehen. Manchen Kennern dürften seine Radierungen als hochwertiger Teil des Œuvres gelten, der bislang weithin unterschätzt wurde. In diesem Bereich experimentierte der Meister mit verschiedenen Verfahren, bearbeitete Druckplatten mehrfach und zeigte somit eine große Bandbreite grafischer Arbeiten.

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