Die Künstlerin Kara Walker macht aus „American History“ eine „American Horror Story“ und muss dafür nicht mal etwas dazu erfinden. Kara Elizabeth Walker (*1969) ist eine der wichtigsten US-amerikanischen Künstlerinnen. Im Jahr 2021/22 bietet sich europäischen Kunstfreunden eine seltene Innenansicht von Walkers Œuvre.
Die renommierte afroamerikanische Künstlerin offenbart in Hunderten von Papierarbeiten einen schaurigen Bilderkosmos, der das Publikum fasziniert und schockt. Die Wanderausstellung macht Station in der Schweiz (Kunstmuseum Basel), Deutschland (Schirn Frankfurt) und den Niederlanden (De Pont Museum Tilburg). Das in diesem Beitrag gezeigte Bildmaterial stammt von der Medienseite des Kunstmuseums Basel.
Zu den wichtigsten künstlerischen Aufgaben gehört der regelmäßige, introspektive Blick auf das eigene Werk: All die Materialien, Skizzen, Entwürfe und Notizen, die sich angesammelt haben, die oftmals im Ausstellungs- und Werkstattbetrieb untergingen, auf Stapeln verstaubten, abgeheftet und vergessen wurden, sich wie Sedimentschichten auf dem Atelierfussboden ablagerten.
Bei berühmten Künstlern und Künstlerinnen hat selbst dieser Atelierbeifang einen erheblichen Wert. Eine Fuhre Ateliermüll von Francis Bacon erzielte auf einer Auktion einmal fast eine Million Britische Pfund.
Die amerikanische Künstlerin Kara Walker nutzte hingegen die Rückschau auf altes Material und das Aufräumen im Atelier, um eine Wanderausstellung mit 650 Exponaten zusammenzustellen, die in den Jahren 2021/22 in der Schweiz, Deutschland und den Niederlanden Station macht. Darunter befinden sich Collagen, bemalte Papierrollen, Scherenschnitte, tagebuchähnliche Blätter und Skizzen, Traumaufzeichungen, Notizen auf Karteikarten, aber auch gesammelte Zeitungsauschnitte, Verpackungen und Werbematerial.
Man mag das „gefegte Küche“ oder Resteverwertung nennen, doch bietet sich dem Museumspublikum auf diese Weise ein tieferer und differenzierterer Einblick in das künstlerische Schaffen, als wenn nur auf Hochglanz polierte Meisterstücke an der Wand hängen, die wie Solitäre glänzen, aber ohne erklärenden Zusammenhang bleiben. Kuratorin Anita Haldemann wollte im Basler Kunstmuseum keine solche „Blütenlese“ veranstalten, sondern „das komplette Spektrum eines künstlerischen Schaffens“ präsentieren.
Im Falle von Walkers vielseitiger Werkauswahl aus ihrem privaten Archiv darf dieses Konzept als gelungen gelten. Dazu zählen auch Arbeiten, die sie zunächst nicht für geeignet hielt, um sie dem Publikum zuzumuten. Schließlich arbeitet sie mit schockierenden Bildern und Worten, die Gewalt, Sexualität und Sprache im Kontext der amerikanischen Geschichte thematisieren. Dreh- und Angelpunkte ihrer Arbeit sind Sklaverei, Ausbeutung und Rassismus, unter denen Afroamerikaner in der Vergangenheit litten und deren Wirkung noch heute spürbar ist.
„Black life mattering stopped the moment he left office.
Kara Walker nach der Amtsübergabe Obamas an Trump
Darkness prevealed swallowing us.“
Sie will aber nicht nur anklagen, sondern die Wut und Trauer über dieses Unrecht in Kunst umwandeln, wie der Schriftzug „Complain less! Make more Art“ auf einem ausgestellten Blatt zum Ausdruck bringt.
Walker hat es geschafft, in diesem Themenfeld zu einer der profiliertesten künstlerischen Stimmen zu werden und ist in vielen Museen und Sammlungen international präsent – das Kunstmuseum Basel erwarb kürzlich 38 Papierarbeiten von ihr („The Gross Clinician presents: Pater Gravidam“).
Bekannt wurde sie mit wandfüllenden Scherenschnitten historischer Figuren und Ereignisse, eine kunsthandwerkliche und biedermeierhafte Technik, die etwas Märchenhaftes und Poetisches ausstrahlt und mit den grausigen Inhalten umso stärker kontrastiert.
2019 sorgte Walker in der Tate Modern mit ihrer Großplastik Fons Americanus für Aufsehen. Einige Jahre zuvor hatte sie in New York mit einer monumentalen zuckerbeschichteten Kunststoffskulptur Furore gemacht. Diese stellte eine elf Meter hohe Sphinx dar (A Subtlety or the Marvelous Sugar Baby) und war in einer ehemaligen Zuckerfabrik im Stadtteil Williamsburg platziert worden. Damit lieferte sie ein Beispiel in der seltenen Kategorie der monumentalen Frauenskulptur.
Walker zitiert häufig rassistische Stereotype aus der Kulturgeschichte, Unterhaltungsindustrie und Alltagskultur und setzt diese in schockierender und zugleich ambivalenter Weise in ihren Kunstwerken um. So trug die Sphinx die karikaturhaften Gesichtszüge einer gutmütigen und arbeitssamen schwarzen „Mammy“, während ihr Körper hochgradig sexualisiert dargestellt wurde – mit schweren Brüsten und prominentem Hinterteil.
Die Sphinx ist typisch für Walkers Methode, rassistische Klischees zugleich auszustellen und zu denunzieren. Die Methode gilt als ambivalent: Die Betrachter werden vor die Wahl gestellt, ob sie sich von den Stereotypen distanzieren oder sie amüsiert geniessen und somit reproduzieren. Dieser rote Faden findet sich auch der Basler Ausstellung: Warnschilder weisen zartbesaitete Kunstfreunde auf schockierende Bilder hin.
Tatsächlich findet man sich in einem Wirbel bedrückender Szenen wieder: Gemarterte und penetrierte Körper, versklavte oder verhöhnte Menschen, Racheakte und Bürgerkrieg, dazwischen Tafeln mit Aussprüchen und Begriffen, die ein achtsamer und respektvoller Sprachgebrauch eigentlich verbietet. Walkers Kunst verlangt dem Publikum Einiges ab: Sie erregt, löst Unbehagen aus, aktiviert rassistische Traumata und Stereotype, manchmal blitzt grotesker Humor auf. Alles in allem hinterlässt sie gemischte Gefühle.
Walker entwirft keine versöhnliche Version der amerikanischen Geschichte, sondern reißt alte Wunden auf – wobei es dazu nicht viel braucht in den USA der Gegenwart. Walker agiert schonungslos und undiplomatisch; sie macht bis heute anhaltende Konflikte und ethnische Identitäten in ihrer historischen Dimension sichtbar.
Mit mehrdeutigen Sprachspielen und der Wiederverwendung bestimmter schwarzer Kunstfiguren aus der amerikanischen Kulturgeschichte stellt Walker das subkutane Fortbestehen rassistischer Einstellungen und Bilder bloß. So lässt sie „Mammy“-Figuren aus „Im Winde verweht“ wiederauferstehen, den sexuell unersättlichen „Mandingo“ sowie sein weibliches Gegenstück, die fordernde „Jezebel“ – Figuren und Rollenbilder, die Fantasien und Ängste der Weißen beflügelten und zugleich zu Identitätsgefängnissen für die Schwarzen wurden.
Kara Walker: „Complain less! Make more Art!“
Für die gebürtige Kalifornierin selbst stand früh fest, dass sie Kunst bewusst aus der Perspektive einer schwarzen Frau betrachten und machen wollte. Dazu gehörte auch der ambivalente Bezug auf die europäische Kunstgeschichte mit ihrer „Königsdisziplin Tafelmalerei“, von der sie sich einerseits kritisch distanziert, andererseits sich aber damit auch im Sinne einer schwarzen Selbstermächtigung beschäftigt.
So bedient sich Walker verschiedenster klassischer Stile. Manchmal erinnern ihre Helldunkel-Kontraste an Goya, manchmal ihre Linienführung an James Ensor. In neueren Papierarbeiten fallen fast altmeisterlich wirkende Weißhöhungen auf getönten Papieren und farbige Kreiden auf.
So in den großformatigen Gemälden, die Walker dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten Obama gewidmet hat, den sie für den größten Hoffnungsträger der Afroamerikaner seit Martin Luther King hält.
Während sie in den Bildern Obama als Afrikaner mit einem fetten Schwein und Obama als Heiliger St. Antonius auf die Debatten um Obamas Identität anspielt, erscheint der ehemalige US-Präsident in der Arbeit Allegorie der Obama-Jahre als Lichtbringer, dessen Gesicht einen düsteren Wolkenhimmel durchbricht.
Unverstellte Rachefantasien bringt Walker in dem Gemälde Barack Obama als Othello ›Der Mohr‹ mit dem abgeschlagenen Kopf des Intriganten Jago zum Ausdruck, handelt es sich bei Jago doch um Donald Trump.