Lange Zeit wurde die Romantik als Quelle erhabener Naturbilder und auch biedermeierlicher Idyllen gefeiert. Aber sie hat auch eine faszinierende Nachtseite – die sogenannte Schwarze Romantik. Sie gilt als düstere Schwester jener biedermeierlichen und süßlichen Romantik, die als deutsches Kulturerbe nationalistisch vereinnahmt wurde und bis heute die Vorstellung dieser Epoche dominiert.
Werke von Francisco de Goya, Johann Heinrich Füssli, William Blake, Theodor Gericault oder Caspar David Friedrich bilden einen ganzen Kosmos von Melancholie, Schrecken, Träumen und Traumata ab, die Kehrseite jener glänzenden Aufklärung, jenes oft beschworenen Zivilisationsprozesses und Fortschritts, an den man allzu gerne glaubte und glaubt. Johann Heinrich Füsslis Nachtmahr aus dem Jahr 1781 zeigt ein grauseliges Monster, das einer schönen Frau die Luft zum atmen nimmt, während ein gespenstisch blickender Gaul die Szenerie beobachtet.
Während bei der Betrachtung heute ein komisch-grotesker Eindruck dominiert, soll das Gemälde damals als Sensation behandelt worden sein, mit der Warnung an gesundheitlich labile Menschen, sich dem Bild zu nähern – Ausdruck des Emotionskultes jener Zeit, der neu entdeckten Angstlust, sich zu gruseln.
Schließlich war der Schrecken erst kurz zuvor als edles ästhetisches Verlangen, als „delightful horror“ entdeckt worden – ein erhabener Schrecken, so der irische Schriftsteller Edmund Burke, der aber nur wirke, wenn man selbst nicht von diesem Schicksal betroffen sei. Füsslis Nachtmahr wurde zu einer Ikone der Schwarzen Romantik und kann heute auf eine bewegte Rezeptionsgeschichte zurückblicken. Eine Reproduktion des Gemäldes hing auch in der Praxis Sigmund Freuds.
Schwarze Romantik – die faszinierende Nachtseite
Mit Grafiken wie Los Chinchillas aus der Serie der Caprichos (Blatt 50, 1797-99) frappierte auch Francisco de Goya das Publikum seiner Zeit. Eine Darstellung von Wahnsinnigen, deren Köpfe mit Schlössern und Metallteilen verschraubt sind – offensichtliches Vorbild für Frankensteins Montagetechnik.
Sensationell wirkt heute noch Francisco de Goyas Flug der Hexen (1797/98). Das kleine Gemälde mit den drei schwerelos schwebenden, nackten Hexen übt eine unglaubliche Wirkung aus, und einen schwärzeren Bildhintergrund hat es in der Kunstgeschichte wohl kaum gegeben. Hier erfährst du, welcher malende Zeitgenosse Goyas mit romantischen Stilelementen in Frankreich für Aufsehen sorgte.
Auch Füssli, der eine Ausbildung als evangelischer Prediger absolviert hatte und später in London als „the wild swiss“ bestaunt wurde, befasste sich mit Hexenbildern. Dabei ist er sicherlich von der causa Anna Göldin inspiriert worden, dem letzten Fall einer europäischen Hexenhinrichtung, die sich 1782 im Kanton Glarus ereignete – die Zürcher Zeitung hatte damals den Fahndungsaufruf mit einer Belohnung von „100 Kronenthaler“ publiziert. Die Geschichte zeigt, wie dunkler Aberglauben und irrationale Ängste im scheinbar klaren Licht der Aufklärung mitten in Europa überdauern konnten.
Zahlreiche weitere Werke machen deutlich, wie sich das Unheimliche und Morbide in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Künsten etablierte. Symbolismus und Neoromantik boten Zivilisationskritik und antimodernen Empfindungen einen sicheren Hafen, hier entdeckte das Bürgertum ein wahres Paralleluniversum zur rationalen Industriegesellschaft: Ob mittelalterliche Sagen, Schauergeschichten, „dramatische“ Landschaften oder okkulte, übersinnliche Erscheinungen – besonders in der Kunst der Schwarzen Romantik manifestierte sich all das, was im Prozess der rasanten Industrialisierung und Verwissenschaftlichung des bürgerlichen Zeitalters buchstäblich unter die schweren Eisenbahnräder kam.
Noch heute hat die Schwarze Romantik ein Nachleben: Vor allem in den Goth-Subkulturen und den dazugehörigen Musikszenen bildet sie ein tragendes Element im Selbstverständnis und der ästhetischen Praxis. Wie bewusst man sich hier auf die historische Schwarze Romantik bezieht ist sicher individuell verschieden. Es würde dieser Subkultur wohl auch nicht gerecht werden, wenn man sie einzig als Echo einer historischen Bewegung begreift. Dafür scheinen die Riten, Festivals und ästhetischen Entwicklungen der neuen Schwarzen Romantik – trotz der zelebrierten Morbidität – viel zu vital …