Die New Yorker Malerin Lee Krasner (1908–1984) war lange Zeit vor allem als Witwe von Jackson Pollock bekannt, erst spät wurde sie als eigenständige Künstlerin gewürdigt.
Lena Krasner, eine junge New Yorkerin mit russischen Wurzeln, setzte sich in einem Umfeld durch, in dem die künstlerische Ausbildung für Frauen noch völlig unüblich war. Sie geriet rasch in Konflikt mit den Traditionen. Ob in der Academy, wo sie den überlieferten naturalistischen Stil ablehnte, oder privat: Als ihre ältere Schwester überraschend starb, sollte sie nach altem jüdisch-orthodoxen Brauch den Witwer heiraten – lehnte aber dankend ab. Ihren Vornamen änderte sie zunächst in „Lenore“ und später in „Lee“ bzw. nutzte das Kürzel „LK“, weil sie so auch für einen Mann gehalten werden konnte. Denn wie sonst sollte sie ein Lob interpretieren, das ihr Lehrer Hans Hofmann ihren Bildern gespendet hatte:
„Diese Studentin ist stets eine Plage. Sie besteht auf ihrem eigenen Willen anstatt die Schulregeln zu befolgen“
Akte der National Academy of Design über Lee Krasner
Lee interessiert sich für die europäischen Avantgarden, politisiert sich, demonstriert vor dem New Yorker Museum of Modern Art gegen die zeitweilige Politik des Museums, abstrakte Kunst nicht auszustellen. Obwohl sie zur ersten Garde und zu den wenigen Frauen der Bewegung des amerikanischen abstrakten Expressionismus zählte, stand sie lange im Schatten ihrer männlichen Kollegen. Den längsten Schatten warf dabei Jackson Pollock (1912–1956), mit dem sie elf Jahre lang verheiratet war.
„Das ist so gut, man würde gar nicht denken, dass es von einer Frau gemalt wurde!“
Hans Hofmann über eine Arbeit Lee Krasners
Sie galt lange Zeit als Nebenfigur, als leidgeprüfte Ehefrau eines extrovertierten Künstlerstars, später als Witwe und Gralshüterin Pollocks. Grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage, ob Künstlerpartnerschaften überhaupt funktionieren können, besonders, wenn beide Partner im gleichen Genre und im gleichen Segment des Kunstmarktes tätig sind. Neid und Konkurrenzdenken können die Beziehung beschädigen, Spannungen und Gewalt (wie etwa im Fall Ana Mendieta/Carl André) können die Folge sein. Nach Thomas Bernhard ist die Künstlerehe die reinste Hölle, wie er in seinem Stück Die Berühmten notierte:
„Sind es zwei Talente, wie groß immer, vernichten sie sich, zuerst das eine das andere, und dann umgekehrt.
Thomas Bernhard über die Künstlerehe
In den meisten Künstlerpartnerschaften erwiesen sich die Männer als beruflich erfolgreicher. Woran liegt das? In manchen Fällen gaben die Frauen ihre künstlerische Tätigkeit zugunsten emotionaler Unterstützung und Betreuung des Mannes auf. Sie trösteten ihn über Schaffenskrisen hinweg, sorgten unter Umständen auch für den Lebensunterhalt, führten den Haushalt, organisierten seinen Alltag.
Lee Krasner und die Tragik ungleicher Künstlerpaare
In vielen historischen Künstlerehen hatten die Männer auch einen immensen Startvorteil: Sie waren zum Zeitpunkt der Heirat älter, erfahrener und erfolgreicher, und damit attraktiv für jüngere Frauen, für Schülerinnen und Kunststudentinnen. Denn für diese stellte die Verbindung zu einem erfolgreichen Künstler eine der wenigen (vielleicht sogar die einzige) Möglichkeit dar, zu beruflichem Erfolg zu gelangen. Schließlich war der Kunstbetrieb des 19. und frühen 20. Jahrhunderts stark patriarchalisch bestimmt, und allein männliche Patronage konnte Türen öffnen.
Berühmte Beispiele liefert die Kunstgeschichte, etwa die tragische Beziehung der Bildhauerin Camille Claudel zu ihrem 24 Jahre älteren Lehrer Auguste Rodin, oder die Ehe von Frida Kahlo mit dem zwanzig Jahre älteren Maler Diego Rivera, der damals bereits weltberühmt war. Während Claudel aufgrund einer psychischen Erkrankung in den Abgrund stürzte, litt Kahlo zeitlebens unter dem Lebenswandel ihres Mannes. Posthum jedoch überstrahlt ihr Ruhm Rivera bei weitem.
Wie schwierig es ist, zu Lebzeiten gegen einen übermächtigen Künstler-Mann bzw. Ex-Mann anzukämpfen, zeigt das Beispiel Marie Françoise Gilots. Die junge Malerin und Grafikerin hatte 1943 ihre erste erfolgreiche Ausstellung in Paris. Dabei lernte sie den 40 Jahre älteren Picasso kennen, mit dem sie dann zehn Jahre lang liiert war. Sie war die einzige Frau, die Picasso aus eigenem Entschluss verließ. Picasso versuchte später in drei Instanzen juristisch erfolglos, das Erscheinen ihres Buches Leben mit Picasso zu verhindern. Und als Gilot nach ihrer Trennung die Malerei wieder aufzunehmen versuchte, stellte sie fest, dass Picasso bedeutenden Pariser Galerien untersagt hatte, ihre Werke auszustellen; er drohte, dass diese anderenfalls nie wieder ein Bild von ihm bekommen würden.
Wenngleich sich heute ein Wandel langsam abzeichnet, dominieren ältere Männer traditionell und noch immer wesentliche Bereiche des Kunstmarktes, etwa im Hochpreissegment der Gegenwartskunst. Deshalb ist die Verbindung mit einem erfolgreichen, älteren Künstler bis heute eine praktizierte Aufstiegsstrategie für junge Künstlerinnen, gleichwohl viele Beispiele zeigen, dass diese Strategie zwar in einem sozialen Aufstieg resultieren mag, die künstlerische Identität aber oft genug im Schatten des Partners versandet.
Gegenbeispiele gibt es natürlich auch: Oda Jaune (bürgerlich Michaela Immendorff geb. Danowska) stammt aus einer bulgarischen Künstlerfamilie, wurde laut sich widersprechender Quellen mit 17 oder 18 die Schülerin von Jörg Immendorff (1945–2007), dann seine Studentin und wenig später – im Jahr 2000 – mit 20 Jahren seine Frau. Die Zeit bis zu Immendorffs Tod war geprägt von dessen ALS-Erkrankung, einem schweren degenerativen Erkrankung des Nevensystems, das nach zunehmender Lähmung zum Tod führt. Nach dem Tod des berühmten Künstlers zog Oda Jaune zusammen mit ihrer Tochter von Düsseldorf nach Paris – ein Befreiungsschlag privat und künstlerisch, denn in Deutschland wurde und wird sie bis heute vor allem als “die Witwe von Immendorff” rezipiert. Aber auch hier gilt: Die Ausnahme bestätigt die Regel.
Der Fall der Künstlerehe Pollock-Krasner war anfänglich anders gelagert. Lee lernte 1941 den vier Jahre jüngeren Maler Paul Jackson bei einer Gruppenausstellung kennen. Beide waren damals noch wenig bekannt. 1945 heirateten sie und gründeten eine Ateliergemeinschaft. Die Ehe war jedoch von Pollocks Alkoholismus, von seinen cholerischen Anfällen und Arbeitsblockaden überschattet. Pollock wurde durch seine Dripping-Technik und Action-Painting schlagartig berühmt, was dem Künstlertandem eine bedenkliche Unwucht verlieh.
Während Pollock zu den wenigen Künstlern zählte, die die USA 1950 auf der Biennale von Venedig repräsentieren durften, floppte Krasners erste Einzelausstellung in New York (die zudem Pollock vermittelt hatte). Obwohl Krasner älter war als Pollock und beide vom gleichen Karrierelevel aus gestartet waren, lebten Pollock und Krasner dann doch nach dem klassischen Modell vieler Künstlerpaare, nach dem der Mann beruflich reüssiert, während die Ehefrau ihn aufopferungsvoll unterstützt und ihre eigene künstlerische Tätigkeit vernachlässigt.
Pollock begann eine Affäre mit der achtzehn Jahre jüngeren Künstlerin Ruth Kligman. Sein Tod infolge eines durch Alkoholmissbrauch selbstverschuldeten Autounfalls, bei dem eine weitere Person umkam und Kligman schwer verletzt wurde, war ein Schock für Krasner, zugleich aber der Auftakt ihrer eigenständigen Karriere.
1972 demonstrierte sie mit der Gruppe „Women in Arts“ vor dem MoMA gegen die Ignoranz der Museen gegenüber Künstlerinnen. Allerdings war Krasners Streben nach künstlerischer Anerkennung auch mit Rückschlägen und Hindernissen verbunden. Ihre Resilienz und Improvisationsgabe waren dabei erstaunlich. Aus Wut und Frust zerrissene Zeichnungen inspirierten sie zu Collagen. Die Schlaflosigkeit, die infolge von Depressionen auftrat, nutzte sie zur Nachtarbeit, wobei sie Farben wählte, die sowohl bei Tages- wie bei Kunstlicht identisch blieben.
Als sie sich den rechten Arm brach, lernte sie, mit links zu malen. Und den Tod ihres Mannes verarbeitete sie, indem sie sein geräumiges Atelier bezog und das Großformat für sich entdeckte. All diese Schicksalsschläge nutzte sie für Innovationen in ihrem Œuvre. Und nicht zuletzt: Bilderverkäufe aus seinem Nachlass, dessen alleinige Verwalterin sie war, ermöglichten ihr die finanzielle Unabhängigkeit. In den 1980er Jahren war sie endlich am Ziel: Große Museumsausstellungen in den USA feiern ihr Werk.
Krasners Œuvre reicht von frühen naturalistischen Selbstporträts der 1920er bis zu den abstrakten Großformaten und Collagen des Spätwerks. 1928 hatte Sie sich mit einem Selbstporträt á la Van Gogh an der Staffelei für die Aktklasse der National Academy of Design beworben. Schon in den „Collage Paintings“ verwendete Krasner Mitte der 1950er Überreste verworfener Zeichnungen.
Die Nutzung von Pollocks geräumigem ehemaligen Atelier ermöglichte ihr die nachts gemalten Großformate der „Night Journeys“, wobei Krasner die bis zu 2,5 m hohen Leinwände mit langstieligem Pinsel schwungvoll und in kraftraubendem körperlichen Einsatz bearbeitete. Ihre späten Werke aus den 1970ern wie „Palingenesis“ knüpfen optisch an die Farbfeldmalerei an. So hinterlässt Lee Krasner ein Œuvre, das von vielfältigen Ausdrucksformen und intensiven Arbeitsphasen geprägt ist.