Kunst im öffentlichen Raum – warum ist sie so oft so öde und hässlich? Nicht selten wirkt der Filz der Lokalpolitik als übles Hemmnis für die künstlerische Qualität. Noch schlimmer ist die Situation aber bei manchen privaten und halbstaatlichen Investoren, die ihre neu erbauten Bürogebäude oder Produktionsanlagen mit weithin sichtbarer Kunst veredeln wollen.
Hier ist der Investor völlig frei in der Wahl des Künstlers. Häufig haben auch die Architekten Künstlerfreunde, die sie regelmäßig ins Geschäft bringen, wohlwissend, dass ihrem Gebäude durch deren Kunstwerke keine ästhetische Konkurrenz erwächst – denn es wäre ja ein Eigentor, wenn die Plastik vor dem Eingang interessanter wirkte als der Büroturm selbst. Mittelmäßige Kunst lässt dagegen auch mittelmäßige Architektur gut aussehen.
Solch kolossale Werke vor neuen Gewerbe- oder Bürogebäuden werden regelmäßig als künstlerisch wertvolle Gabe an die gesamte Kommune und der Öffentlichkeit präsentiert. Oftmals kann man sie ja selbst unter großen Anstrengungen nicht übersehen. Kaum ein politischer Entscheidungsträger wagt, Kritik daran zu äußern oder gar ein Mitspracherecht für die Öffentlichkeit einzufordern, weil man ja stets über jede Gewerbeansiedlung ganz doll froh sein muss. Und was kommt dabei heraus? Allzu oft sind es gigantische „Kunstgartenzwerge“ vor glänzenden Stahl-Glas-Gebirgen.
Eine Spielart der Kunst im öffentlichen Raum
Es gibt unübersichtlich viel Kunst im öffentlichen Raum. In sehr repräsentativen Lagen handelt es sich aber genau genommen um Kunst im halb-öffentlichen Raum. Genannt seien hier nur das bereits oben erwähnte Rock on Top of another Rock des Künstlerduos Fischli und Weiss, Jonathan Borofskys Hammering Man vor der Frankfurter Messe oder Claes Oldenbourgs flatternde Krawatte Inverted Collar and Tie vor der DG Bank in Frankfurt/M. Eine der bekanntesten Kunst im öffentlichen Raum dürfte aber das Rolling Horse von Jürgen Goertz sein – die Pferdeplastik vor dem Berliner Hauptbahnhof (wenn man das Deutsche Bahn-Gelände als öffentlichen Raum betrachtet).
Der Schöpfer des Rolling Horse am Berliner Hauptbahnhof Jürgen Goertz geht in seinem Plastiken den bewährten Weg einer Mischung von Figuration und technoider Abstraktion. Seine Tierplastiken sind als solche noch erkennbar, werden aber durch formale Vereinfachungen und den Einbau technischer Elemente auf gemäßigte Weise verfremdet und abstrahiert.
Das Trojanische Pferd des Old Boys’ Club
Auch das Rolling Horse aus Aluminium, Stahl, Plastik und Glas ist nicht die Frucht eines öffentlichen Wettbewerbs mit transparenten Regeln und fachkundiger Jury, sondern entspringt einer privaten Begeisterung des damaligen Deutsche Bahn-Chefs Hartmut Mehdorn für Goertz und seine Werke.
So durfte Jürgen Goertz schon einige Jahre vor dem Berliner Gaul in Heidelberg ein ähnliches, noch größeres Pferd (13 Meter, 90 Tonnen) vor der „Print Media Academy“ des dort ansässigen Unternehmens Heidelberger Druckmaschinen aufstellen. Manche sehen im S-Printing Horse (Ja, so heißt das wirklich!) einen riesigen, flugunfähigen Vogel auf drei Beinen, andere meinen darin eine Mischung aus Giraffe, Dinosaurier und Siamesischen Zwillingen zu erkennen.
Alles falsch, denn es handelt sich wohl um eine Darstellung verschiedener Arbeitsprozesse des Drucks, die sich weitgehend auf symbolhaft verwendete Fragmente beschränkt. Im Stahl des Objekts befinden sich diverse kreisrunde Ausfräsungen, die offenbar an die Konstruktion von Druckmaschinen erinnern sollen.
Der Unternehmenskommunikation ist aber vor allem wichtig, dass es sich um die GRÖSSTE Pferdeskulptur der Welt handelt. (Streng genommen ist es keine Skulptur. Denn Skulpturen werden wie bei klassischen Werken aus Stein aus dem Material geschlagen, Plastiken hingegen werden wie beim Ton durch Antragen von Material gebildet, also von innen nach außen gebaut. Der Heidelberger Fall ist sicher eine – weitgehend maschinelle – Konstruktion „von innen nach außen“)
Bei Druckmaschinen rotieren die Zylinder, bei der Bahn die Räder. Wie praktisch, muss sich der Künstler gedacht haben und nahm die alte Idee mit dem Pferd noch mal in die Mangel. Aber das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit der beiden Pferdeplastiken. Denn bei der Errichtung des S-Printing Horse war Hartmut Mehdorn noch Chef eben jener Heidelberger Druckmaschinenfabrik.
Politiker als Claqueure
Wäre die Deutsche Bahn ein rein privates Unternehmen, könnte man bei dieser Zuschanzung von Aufträgen nach Gutsherrenart nicht viel reklamieren. Doch die DB ist eine 100-prozentige Tochter des Bundes. Jeder Steuerzahler finanziert also das Kunstwerk mit, das allein Mehdorns Geschmack und Diktat zu verdanken ist.
Wieso, so wurde zur Errichtung des Werks nicht nur hinter vorgehaltener Hand gefragt, sollten die Bürger und DB-Kunden den Privatgeschmack Mehdorns bezahlen und fortan bei Ankunft und Abreise sichten müssen? „Es genügt, dass er die Architektur des Hauptbahnhofs verhunzt hat. Mag er das Pferd in seinem Privatgarten aufstellen“, forderte die Berliner Zeitung 2007.
Doch die Politprominenz kam bei der Enthüllung der Plastik programmgemäß ins Schwärmen – keiner wollte dem Bahnchef ästhetisch die rote Kelle zeigen. Der damalige CDU/CSU-Fraktionschef Volker Kauder überraschte als Kunstkritiker: „Ich finde, dass dieses Kunstwerk die Dynamik der Bahn zeigt. Ein Kunstwerk mit hohem technischem Anspruch.“ Er interpretierte die Plastik gleichnishaft als „eine Bahn auf Expansionskurs“.
Der Berliner Abgeordnetenhauspräsident Walter Momper (SPD) sekundierte: „Imposant, sehr symbolisch, historische Bezüge – alles da!“ Dem Bildhauer werden die Lobhudeleien der laienhaften Prominenten geschmeichelt haben – nach soviel massiver Kritik der Fachleute. Und Hartmut Mehdorn stand natürlich zu seinem Künstler. „Das wird eine große Fotografierkulisse für die Besucher unserer Stadt und unseres Bahnhofs.“ Mit ihrer Beweglichkeit und ihren hochwertigen Materialien schlage die Skulptur eine Brücke von den Anfängen der Mobilität zum neuen Berliner Hauptbahnhof. (Zitate nach Berliner Zeitung 24. 5. 2007).
Mehdorn ging, das Pferd blieb – nunmehr als Mehdorn-Mahnmal, das an jene unselige Epoche der Bahngeschichte erinnert, die von Privatisierungswahn und Investitionsversäumnissen geprägt war, und deren Folgen Bahnreisende bis heute spüren (nebenbei bemerkt: Ein weiteres Deutsche-Bahn-Mahnmal hat mittlerweile der Bildhauer Peter Lenk errichtet: Es erinnert an den Dauerskandal um das Projekt “Stuttgart 21”.
Vielleicht wäre es langsam Zeit, den Gaul auf den Gnadenhof zu schicken – z.B. ins Deutsche Bahn Museum? Gern auch mit Festakt. Bis dahin können Reisende froh sein, dass Manager Mehdorns Intermezzo auf der Baustelle des Flughafens Berlin Brandenburg zu kurz war, um zur Eröffnung wieder seinen Buddy Goertz und die Pferde auf das zahlende Publikum loszulassen.