Vandalismus im Vatikan! Mit dem Hammer ging 1972 ein falscher Christus auf Michelangelos berühmte Pieta los. Die Geschichte zeigt, dass nicht nur politische Aktivisten und Terroristen Kunst attackieren, um eine Botschaft zu verbreiten, sondern auch Wahnsinnige.
Für manche Attacken auf Kunstwerke gibt es überhaupt keine rationale, ideologische oder finanzielle Erklärung. Die Täter sind einfach nur verwirrt, geisteskrank oder halten sich z.B. für Jesus Christus persönlich – so der nach Australien emigrierte Ungar László Tóth, der nach einem Schädelbruch nicht mehr in die Realität zurückgefunden hatte.
Im Sommer 1971 reiste er nach Italien, bereits in der festen Überzeugung, Gottes Sohn zu sein. Dass er einen schweren Akt des Vandalismus im Schilde führte, konnte niemand ahnen. Denn nach äußerlichen Gesichtspunkten soll der bärtige und langhaarige junge Mann entfernt der gängigen Klischeevorstellung von Jesus entsprochen haben.
Gegenüber einem Amerikaner, mit dem Tóth einige Monate ein Zimmer in einer römischen Jugendherberge teilte, und mit dem er sich anfreundete, verheimlichte Tóth sogar seine »Zweitidentität« als Jesus.
Als sich der Amerikaner über seinen Freund wunderte, weil dieser bei jeder Gelegenheit die Bibel las, soll Tóth gesagt haben, dass er nicht fromm sei und ihn die Bibel nur als Literatur interessiere. Gleichzeitig machte Tóth erste Versuche, Kontakt zu Papst Paul VI. aufzunehmen.
Da dieses Vorhaben scheiterte, schaltete der Australier mehrere kleine Anzeigen, in denen er erklärte, dass er als Geologe im australischen Outback mit höheren Wesen in Kontakt gekommen sei, die ihn nach Rom gesandt hätten, um den Vatikan zu bewegen, diverse kirchlichen Geheimnisse offenzulegen.
In Australien hatte Tóth allerdings nicht als Geologe arbeiten können, weil dort sein ungarisches Diplom nicht anerkannt wurde. Stattdessen musste er sich in einer Seifenfabrik verdingen.
Zudem ließ seine Anspielung auf die Wanderschaft Jesu durch die Wüste offen, ob es der Teufel war, der ihm in der Ödnis etwas einflüsterte oder ob schlicht die intensive Sonneneinstrahlung seinen Wahnsinn beflügelte.
Im November 1971 präsentierte eine italienische Tageszeitung Tóth in einem großen Artikel als »modernen Propheten«, ohne zu wissen, dass sie einem späteren Kunstattentäter damit ein Forum bot und ihn vielleicht erst in seiner wahnsinnigen Mission bestätigte, die schließlich im Vandalismus an einem der berühmtesten Kunstwerke überhaupt mündete.
Im Mai 1972 schritt der 33-Jährige zur Tat. Während des Pfingstgottesdienstes betrat Tóth in schwarzem Smoking und rotem Hemd den Petersdom. Die gut 2.000 anwesenden Gläubigen strömten bereits wieder aus dem Gebäude, da erklomm Tóth eine berühmte Figurengruppe von Michelangelo Buonarroti (1475–1564) in einer Kapelle im Seitenschiff der Kirche.
Michelangelos Darstellung der Pietà, eines seiner frühen Meisterwerke, zeigt die Muttergottes ungewöhnlich jung und voll erhabener Trauer um ihren auf dem Schoß hingestreckten Sohn.
Unter den entsetzten Blicken der Gläubigen zückte László Tóth einen Hammer und drosch auf die kostbare Marmorskulptur ein. Zahlreiche Besucher der Pfingstmesse sahen das bizarre Schauspiel, einige fotografierten den Akt des Vandalismus von Tóth, der in seinem Furor unentwegt schrie: »Ich bin Jesus Christus, Christus ist von den Toten auferstanden!«
Den ersten Schlag setzte er am Nacken der Madonna an, um ihren Kopf abzutrennen. Doch der Hals hielt stand, Auge und Nase trugen jedoch erheblichen Schaden davon. Unter den zahlreichen Hammerschlägen fiel auch der linke Arm der Maria krachend zu Boden.
Schließlich griff ein Feuerwehrmann beherzt ein und überwältigte den Täter. Später erhielt er vom Papst das Ritterkreuz des Gregorius-Ordens, weil er das Sinnbild der Muttergottes gerettet habe.
Vandalismus des eingebildeten Gottessohns
Augenzeugenberichten zufolge musste sich die herbeigerufene Polizei schützend vor den Attentäter stellen, um empörte Kirchenbesucher daran zu hindern, den Vandalen an Ort und Stelle zur Rechenschaft zu ziehen. So unrecht wäre es Tóth wohl nicht gewesen, denn nach seiner Verhaftung bat der Wahnsinnige inständig darum, gekreuzigt zu werden.
Seinen sechs Wochen später bevorstehenden 34. Geburtstag fürchtete er wie der Teufel das Weihwasser. Damit drohte seine persönliche Jesuslegende zusammenzubrechen, da Jesus von Nazareth gängigen Theorien zufolge mit 33 Jahren ans Kreuz geschlagen worden war.
Den Gefallen tat man ihm nicht, stattdessen sprach der persönliche Sekretär des Papstes mehrere Stunden lang mit Tóth über dessen Motive für den Vandalismus im Gotteshaus. Wollte er sich womöglich vergewissern, ob es sich bei dem Kunstattentäter wirklich nur um einen Irren handelte?
Über dieses Gespräch drang nichts an die Öffentlichkeit, doch später erklärte Tóth, er habe die Pieta als Symbol für die falsche Kirche zerstören wollen – einer Kirche, die nur einen toten Christus akzeptieren könne. Gleichzeitig gab er sich auch noch als Inkarnation Michelangelos aus, der in Personalunion mit Jesus die Pietà am Pfingstsonntag vollenden wollte.
Ein gefundenes Fressen für Psychologen, da nicht wenige Künstler zu einem messianischen Gestus neigten und neigen. Albrecht Dürers Selbstporträt vom 1500 ist dafür das berühmteste Beispiel. Im Prozess warf Tóth seinen Richtern Hochmut vor und drohte ihnen mit dem Jüngsten Gericht, weil sie »Christus« für wahnsinnig erklärt hätten – Ärzte hatten bei Tóth inzwischen Schizophrenie diagnostiziert.
Einige Zeit und diverse Elektroschockbehandlungen später – damals war diese „Methode“ noch gängige Praxis in der Behandlung von Insassen geschlossener Psychiatrien – wurde Tóth straffrei nach Australien abgeschoben, wo er von Psychiatern als ungefährlich eingestuft wurde und auf freien Fuß kam. Angeblich soll er dort lange Jahre als Einsiedler gelebt haben, bis er mit Anfang 60 einen Schlaganfall erlitt und in einem Pflegeheim untergebracht wurde.
Michelangelos Pietà wird seit László Tóths Attacke mit schusssicherem Panzerglas vor Angriffen geschützt.