Joseph Beuys (1921–1986) war einer der wichtigsten und zugleich umstrittensten Künstler der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Jubiläen – wie beispielsweise ein 100. Geburtstag – sind ritualisierte Anlässe, die Bedeutung einer historischen Figur für die Gegenwart zu diskutieren. Beuys besetzt in dieser Hinsicht eine Sonderposition, denn schon zu Lebzeiten galt er klassischen Kunstliebhabern und weiten Teilen des Laienpublikums als überbewerteter Künstler oder gar Scharlatan. Hat sich daran mittlerweile etwas geändert?

Beuys schuf viele Zeichnungen und Plastiken, aber auch symbolische Vorführungen bzw. Performances. Er handelte dabei oft wie ein Lehr- und Zeremonienmeister und suchte nach Ausdrucksweisen, die einen möglichst großen Kontrast zur modernen Zivilisation bildeten. Klar, dass das nicht nur dem breiten Publikum, sondern auch vielen intellektuellen Kunstfreunden aufgesetzt, egozentrisch bis albern vorkam. Seiner Karriere als Künstler indes schadete es nicht. Allein siebenmal war er auf der documenta vertreten.

Joseph Beuys meldete sich freiwillig zur Wehrmacht und nahm als Soldat der Luftwaffe am Zweiten Weltkrieg teil. Er stand Zeit seines Lebens unter dem Eindruck, den er damals von der Zerstörungskraft menschlichen Handelns gewonnen hatte. Mehrmals wurde er verletzt, einmal bei einem Flugzeugabsturz. In diesem Zusammenhang steht die so genannte „Tartarenlegende“, die Beuys selbst in Umlauf brachte.

Die geht ungefähr so: Er sei als Kampfpilot über der Krim abgeschossen worden und nach dem Abschuss seines Flugzeuges schwer verletzt von Tataren, einem halbnomadischen Hirtenvolk auf der damals zur Sowjetunion gehörenden Halbinsel Krim, aufgenommen worden. Sie hätten ihn mit Fett eingerieben, in Filz gewickelt und mit schamanischen Ritualen sein Leben gerettet.

Richtig ist, dass Beuys am 16. März 1944 als Funker und Schütze in einem einmotorigen Kampfflugzeug („Junker Ju 87“) zusammen mit dem Piloten Hans Laurinck wohl in eine Schlechtwetterfront geriet und dabei bedingt durch fehlende Sicht abstürzte. Während Laurinck dabei ums Leben kam, überlebte Beuys. Bereits 24 Stunden danach ist er als Verwundeter im Lazarett registriert worden, wohl dank der Hilfe russischer Arbeiter. Auch nach diesem Ereignis wurde Beuys weiter im Krieg eingesetzt.

Joseph Beuys verschaffte sich mit seiner frisierten Geschichte eine Künstlerlegende, ähnlich jener, die bereits in früheren Jahrhunderten Künstler zu berufenen wenn nicht gar auserwählten Gestalten stilisierten (siehe unseren Beitrag zu Giotto).

Aber Legenden hin oder her – die Kriegserlebnisse prägten Beuys für den Rest seines Lebens und damit auch seine Kunst. Während viele andere Kriegsteilnehmer aber die Eindrücke von Gewalt, Tod, Leid, Hunger und Zerstörung verdrängten, war für ihn, der schon vor dem Krieg Künstler werden wollte, nicht vorstellbar, einfach wieder in sein Atelier zu gehen und schöne Bilder zu malen oder Skulpturen aus Stein zu hauen, an denen sich das Kunstpublikum erfreuen konnte.

Zutaten für die Kunst des Joseph Beuys

Beuys arbeitete – ob nun bewusst oder nicht – mit seiner Traumatisierung und übertrug die therapeutische Funktion, die Kunst haben kann, über seine Person hinaus auf die ganze Gesellschaft. Geschickt wirkte Beuys dabei als Grenzöffner und dehnte das Spielfeld der Kunst immer weiter aus – auch im wortwörtlichen Sinn. Die Dimensionen einiger seiner großen Arbeiten sprengten den Rahmen bisheriger Kunstwerke und beanspruchten ganze Säle für sich. Dabei wirken viele seiner Arbeiten so, als seien sie noch nicht abgeschlossen, als habe der Künstler sich selbst an einem bestimmten Punkt des Schaffensprozesses raus gezogen. Die Werke wirken eher wie Markierungen, an denen man zu einer langen Schnitzeljagd eingeladen wird.

Für seine Werke reichten ihm die althergebrachten Materialien nicht mehr aus, die bis dahin in der Kunst verwendet worden waren. In seinen plastischen Arbeiten konnten alltägliche Gegenstände und gebrauchte Dinge genauso Verwendung finden wie Schriftstücke und Pflanzen. Da war er nicht der erste, denn schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde mit ganz unterschiedlichen Materialien und Möglichkeiten in der Kunst experimentiert (z.B. im Merzbau von Kurt Schwitters oder diversen Dada-Performances, ganz zu schweigen von den Heilsverkündungen eines Johannes Baader).

Darüber hinaus griff Beuys Elemente des Volksaberglaubens und volkskulturelle Symbole auf. Auf den Kunsthistoriker Werner Spies geht die These zurück, dass Beuys auf ein Standardwerk der Volkskunde, das Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens (HdA) zurückgegriffen haben könnte. So tauchen in seinem Werk immer wieder Titel mit Motiven aus dem HdA auf: „Nebelfrau“, „Zwergenstein“, „Hasenfrau“ und „Dreibein“ sind da beispielhaft zu nennen. Sie verweisen auf vorchristliche Spiritualität mit einer engen Naturbindung.

Bestimmte Dinge wie Fett, Honig Wachs und Filz sind wiederkehrende Materialien in seinen Werken. Diesen schon seit der Frühgeschichte bekannten einfachen Materialien verlieh Beuys eine besondere, persönliche Bedeutung. Für Beuys symbolisierten Fett und Filz lebenswichtige Wärme- und Energiespeicher (und er hielt es offenbar für nötig, diese Elemente mit der erfundenen Tartarenlegende als persönliche Werkstoffe „biografisch“ zu unterfüttern). Zugleich sind es leicht formbare Materialien, die einen denkbar großen Gegensatz zu den traditionellen Materialien von Bildhauern darstellen. Die neuen, weichen und veränderlichen Stoffe wurden zu Beuys’ Markenzeichen. Energie war sein zentraler Begriff für die Vielzahl der verwendeten Materialien.

Mit seiner so geschaffenen individuellen Mythologie bereitete Beuys nicht nur das Feld für viele Künstlerinnen und Künstler nach ihm, sondern auch das Feld für allerlei Missverständnisse. Denn deuten müssen die Kunst schließlich andere als der Künstler selbst. Dieser grundsätzliche Widerspruch ist in der modernen Kunst angelegt. Unter dem Begriff „Individuelle Mythologie“, der von Beuys’ Werk wesentlich geprägt wurde, fasst man die Versuche moderner Künstler zusammen, mit den eigenen Bildwelten, Symbolen und Zeichen ein eigene Welt zu schaffen, die dann über die Interpretation der Kunstbetrachtenden in die reale Welt tritt.

Beuys’ Auftritt in New York

Exemplarisch lässt sich das an einer Aktion von 1974 besprechen, bei der er mehrere Tage (1974 über drei Tage jeweils 8 Stunden in einem Galerieraum) mit einem Kojoten verbrachte. Für die Performance I like America and America likes me war ein Galerieraum umgebaut worden. Der Kojote spielte im Schamanenkult der Ureinwohner Amerikas eine besondere Rolle, vergleichbar mit den Engeln im Christentum. Sie waren Botschafter des Himmels, Vermittler zwischen Gott und Mensch.

Joseph Beuys, I like America and America likes me, 1974, Szenen seiner Ankunft in den USA und Ausschnitte der Performance.
Für Beuys-Kritiker war und ist die Aktion weniger Kunst als eine Anmaßung – ein ehemaliger NS-Anhänger und Wehrmachtssoldat tritt mit belehrendem Gestus gegenüber den Befreiern vom Nationalsozialismus auf.

Der Kojote und Beuys traten in einen wortlosen Dialog. Gelegentlich markierte das Tier die Dinge im Raum, wie Hunde es in ihrem Revier auch tun. Er kam zu Beuys und biss in den langen Spazierstock, den der Künstler hielt. Manchmal biss er auch in den Filzumhang, in den Beuys von Kopf bis Fuß gehüllt war und der dem Künstler das Aussehen eines Magiers verlieh.

Dieses Spiel zwischen Bedrohung und Verständigung, zwischen Ruhe und Aggression beeindruckte Publikum wie Presse (Tierschützer waren damals noch nicht so streng und aktiv wie heute. In manchen aktuellen Kommentaren zu der Performance wird über den Stress spekuliert, dem der Kojote damals ausgesetzt war).

Auf manche machte das Ganze auch einen ziemlich verstörenden Eindruck. So berichtete der amerikanische Bildhauer Richard Serra (*1938), der die Performance mehrmals besuchte: „Ich fand niemals heraus, was da eigentlich vor sich ging.“ Bis heute geht es vielen Menschen so, die vor Werken von Beuys stehen. Erschwert wird die Beschäftigung mit seinen Werken dadurch, dass sie oft Bestandteile einer größeren Aktion bzw. Performance bildeten und heute nur noch als Relikte davon zeugen. Die Performance I like America and America likes me war bahnbrechend für Beuys’ Rezeption als zivilisationskritischer Künstler und übersinnlicher Schamane.

Die Beuys Therapie

Beuys’ Sendungsbewusstsein ging mit wachsendem Erfolg immer weiter aus den gewohnten Sphären des Kunstbetriebs hinaus. Er wollte die Gesellschaft verändern und arbeitete dafür nicht nur erfolgreich an seinem persönlichen Künstlerkult, sondern trat potenziell überall dort in Aktion, wo es möglich war – bis hin zu Vorabendsendungen im ZDF.

Er dehnte sein Verständnis von Kunst also ziemlich weit aus. In diesem Zusammenhang ist oft von einem erweiterten Kunstbegriff die Rede. Das ist eine Wortprägung, die Beuys nicht selber schuf, sondern während eines Interviews von seinem Gesprächspartner zusammenfassend aufgebracht wurde. An anderer Stelle bezeichnete er den erweiterten Kunstbegriff sogar als sein bestes Kunstwerk.

Vieles blieb fragmentarisch, romantisch und auch antimodern (obwohl er selbst in der breiten Öffentlichkeit als Prototyp des modernen Künstlers figurierte). Beuys hatte natürlich anderes im Sinn, war aber eben auch kein kritischer Systemdenker. Durch seine Kunst sollte die Gesellschaft freier, demokratischer und umweltverträglicher werden. Die kapitalistische Gesellschaft sah er als kalten, eingeengten Raum für die Menschen, in dem sie bloß über ihre Leistungsfähigkeit und ihren Nutzwert beurteilt würden.

Sie gehen zur Arbeit und verkaufen ihre Arbeitskraft. Meist mögen sie nicht einmal das, was sie tun. Für Beuys bestand seine Mission darin, die Menschen wachzurütteln und ihnen einen besseren Weg des Zusammenlebens zu zeigen. Die Menschen sollten sich als aktive, formende Kräfte der Gesellschaft begreifen, um so die Fixierung auf Geld und materiellen Wohlstand abzulegen.

Für Beuys war die Gesellschaft eine Rohmasse, die unter den Händen kreativer Menschen (er selbst natürlich an vorderster Stelle) zu einer sozialen Plastik würde. Für eine komplexe arbeitsteilige Gesellschaft, in der nicht alle einer Meinung sind, in der natürliche menschliche Egoismen ausbalanciert werden müssen und auch nicht alle Menschen kreativ, geschweige denn Teil eines Kunstwerks sein wollen, ist das eine einigermaßen naive und wenig realistische Vorstellung. Vielleicht war es auch nur, wie so viele Beuys’sche Vorstellungen, eine abstrakte Idee, eine Art konzeptuelle Skizze, der noch viele konkrete Schritte hätten folgen müssen.

In einem Interview formulierte Beuys es so: „Die Zukunftsgestaltung am sozialen Ganzen ist der allerhöchste Kunstbegriff, da ist jeder Mensch betroffen.“ So wird auch Beuys’ oft missverstandener Satz „Jeder Mensch ist ein Künstler“ nachvollziehbar. Die kreativen Kräfte in der Gesellschaft freizulegen war seine Utopie. Ihm war natürlich klar, dass es nicht reicht, etwas zu wollen und ein paar Kunstwerke oder Aktionen zu machen. Es ist also kein Wunder, dass er die Grenzen zwischen Kunst und politischer Aktion immer weiter öffnete.

Aber hat Kunst überhaupt die Kraft, eine Gesellschaft zu heilen? Können Kunst und Politik wirklich Hand in Hand gehen, oder sind darin nicht schon potenzielle Entwicklungen zu befürchten, die gerade erst in die Katastrophe des Zweiten Weltkriegs geführt haben?

Der Künstler und die Politik

Joseph Beuys stand als Künstler und Zeremonienmeister im Mittelpunkt des von ihm verordneten Heilungsprozesses für die Gesellschaft. Dabei verstand er seine Aktionen bzw. Performances nicht einfach als symbolische Handlungen. Im Grunde zelebrierte er eine Art Privatreligion mit sich selbst als Propheten und Oberpriester. Bei Beuys lagen Führung, Glaube und Kunst noch in einer Hand – in der des Schamanen.

Doch der Unterschied zu den Urzeiten der Kunst liegt auf der Hand. Die Beschwörungsformeln der Schamanen, die in Malereien an den Höhlenwänden ihren Niederschlag fanden, waren wohl selbsterklärend und fester Bestandteil spiritueller Zeremonien. Damals musste niemandem erklärt werden, was die Bilder und Objekte bedeuten.

Beuys Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt
Der Künstler als Erleuchter, Lebensstifter und Seelenflüsterer: Die Beuys Performance im Rahmen seiner Ausstellungseröffnung in der Galerie Schmela in Düsseldorf am 26. November 1965 Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt gehört zu seinen Schlüsselaktionen. Das Vernissagepublikum, gekommen, um die ausgestellten Bilder zu sehen, muss von außen durchs Schaufenster dabei zusehen, wie Beuys mit Maske aus Honig und Blattgold einem toten Hasen über eine Stunde lang seine Bilder erklärt. (Filmstill)

Beuys’ Kunst hingegen ist sehr kommentarbedürftig. Einige seiner Zeichnungen sehen tatsächlich aus wie prähistorische Höhlenzeichnungen und viele Bezugspunkte aus dem Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens sind längst erloschene Quellen ohne Verbindung zur zeitgenössischen Lebensrealität. Nur derjenige, der zu seiner „Glaubensgemeinschaft“ gehören will, schätzt sie – alle anderen, „Ungläubigen“ sehen seine Kunst mit kritischeren Augen oder lehnen ihn sogar vehement ab.

Symptomatisch für die Irrungen und Wirrungen zwischen Kunst und Politik war schon eine Beuys-Performance 1964 in der Aula der Aachener Universität. Ein großes „Festival der neuen Kunst“ wurde von den Organisatoren, darunter Beuys, versehentlich für den 20. Jahrestag des Hitlerattentats vom 20. Juli 1944 geplant. Als die Behörden das Festival deshalb absagen wollten, wurde es kurzerhand als Gedenkveranstaltung deklariert.

Beuys’ ironische Empfehlung: „Erhöhung der Berliner Mauer um 5 cm (bessere Proportion!)“ sorgte für weiteren Zündstoff. So entgleiste schließlich Beuys’ Auftritt, bei dem er allerlei Hokuspokus auf der Bühne veranstaltete, dabei eine Flasche mit Säure zu Boden fiel und explodierte. Ein Student fühlte sich dadurch angegriffen und verpasste dem Meister einige Faustschläge ins Gesicht. Doch Beuys schlug beherzt zurück und setzte die Show mit blutender Nase fort.

Auch das Diskutieren war für ihn Teil seiner Kunst. Auf der documenta im Jahr 1972 richtete Beuys sogar ein Büro ein, in dem er an den 100 Öffnungstagen der Ausstellung mit den Besuchern diskutierte. Hilfsmittel dafür waren unter anderem zehn Schultafeln. Hier formulierte Beuys den Stand der Diskussion, vor allem aber seine Ziele für die Gesellschaft. Um eine detaillierte messerscharfe Analyse unserer Gesellschaft ging es ihm dabei jedoch nicht. Beuys wirkte oft belehrend und betonte durch eine priesterhafte Attitüde seine charismatische Erscheinung.

In Diskussionen hatte er prinzipiell das letzte Wort. Das konnte einen ziemlich verbissenen Eindruck machen. Deshalb war Beuys für viele Zeitgenossen, die seine Werke in Ausstellungen sahen oder Zeugen einer seiner Aktionen wurden, oft genug nur ein suspekter Selbstdarsteller.

Beuys hatte bereits 1967 die Deutsche Studentenpartei gegründet. Dann auch die Organisation für direkte Demokratie 1971 in Düsseldorf. Später nahm er dann an der Gründungsversammlung der Partei Die Grünen teil, um eine politische Plattform für seine Ideen zu bekommen. Die Politiker benutzten den längst berühmten Künstler gern als Galionsfigur, inhaltlich jedoch wollten sie ihm keinen Einfluss gewähren. Seine grünen Parteifreunde verbannten ihn vor der Bundestagswahl 1983 bei der NRW-Landesdelegiertenkonferenz in Geilenkirchen auf einen hinteren und damit völlig aussichtslosen Listenplatz, was bei manchem Zeitgenossen Schadenfreude aufkommen ließ.

Spektakuläre Performance auf der documenta 7: Am 30. Juni 1982 sorgt Joseph Beuys nicht nur für erhitzte Gemüter, weil er öffentlich die Schmelzung einer Kopie der Zarenkrone Iwans des Schrecklichen zelebrierte und daraus einen Hasen goss – unter Protest des Juweliergewerbes und Teilen der Bevölkerung. Der Erlös aus dem Verkauf der Hasenplastik diente der Finanzierung seiner ebenfalls auf der documenta 7 initiierten Pflanzung von 7.000 Eichen. Mehr zu der Performance hier. Offset und Farbserigrafie auf Papier, Hrsg. von Dieter Schwerdtle zur Documenta 7, Kassel, 1982

Fazit

Dass er umstritten war und von vielen statt als Schamane eher als Scharlatan angesehen wurde, störte Beuys nicht. Im Gegenteil: Ein Prophet, der im eigenen Land nichts gilt oder von seinen Mitmenschen verkannt wird, ist nichts Ungewöhnliches. Selbst als Beuys, der aus dem niederrheinischen Kleve stammte, schon berühmt war, lehnte die Mehrheit der Klever eine Brunnengestaltung ab, die der Künstler der Stadt schenken wollte.

Diese bis heute breite Ablehnung ist ein Hindernis, die Irritationskraft zu würdigen, die von einigen seiner Werke ausgeht (vor allem die Performances, die aber leider fast durchgehend schlecht dokumentiert sind). Ästhetisch allerdings bilden vor allem seine oft kargen Arrangements mit ihren komplexen und oft auch willkürlich gesetzten Bezügen für heutige Kunstinteressierte mit durchschnittlicher Aufmerksamkeitsspanne extrem schwere Kost. Hedonisten, Liebespaare und Familien mit Kindern nehmen auf dem Parcours durchs Museum da schnell eine Abkürzung zu Ausstellungsräumen mit mehr Pop und Farbe.

Mit seiner seltsamen Kombination aus Schamanengetue und Versatzstücken aus ökologischem und esoterischem Denken bietet Beuys bis heute ideologische Anschlussmöglichkeiten für linke, sozial orientierte Positionen, für Naturschutz, aber auch für rechte Ideologeme, die Umweltschutz vor allem als „Heimatschutz“ oder gar ethnisch definierten „Volksschutz“ verstehen (In der Gründungsphase der Grünen, in der auch Beuys mitwirkte, waren all diese Positionen dort noch bunt gemischt).

Dass er aber selbst viele Jahrzehnte nach seinem Tod immer noch genug Anlass bietet über ihn und seine Werke zu streiten, würde dem diskussionsfreudigen Künstleraktivisten mit Sicherheit gut gefallen.

2 comments
  1. Eigentlich wissen wir über Beuys schon alles.
    Gekonnt versteht es kingkunst aber immer wieder
    uns Beuys noch deutlicher ins richtige Licht zu rücken.

  2. Wer meint kingkunst hätte den Beuys hier deutlicher ins richtige Licht gerückt, der weiß vielleicht “alles” über Beuys, hat aber gar nichts verstanden.

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