Sprechen über Kunst – verdammt schwer! So denken viele. warum eigentlich?

»Ich bin ganz beeindruckt« gab Bundespräsident Horst K. nach einem Rundgang auf der  documenta 12 im patentreif gepressten Ton seiner Ernstfalldiplomatie zu Protokoll. Doch damit zeigte er, dass er den elitären Kunstjargon nicht beherrscht – ein blutiger Anfänger auf dem glatten Parkett des Kunstbetriebs.

Zwar waren seine weiteren Ausführungen ähnlich nichtssagend wie die meisten geschwollenen Reden über Kunst. Aber die verbale Kunstfertigkeit des höheren Blödsinns geht diesem Politiker und seinen Redenschreibern völlig ab. Das eindrucksvoll unverständliche Ausdrücken von vagen Eindrücken muss noch geübt werden. Dabei wurde es dem Bundespräsidenten doch schon leicht gemacht.

Für seinen vorher festgelegten Rundgang wurde ein Werk des Künstlers Juan Davila vorsorglich abgehängt. Mit den zahlreichen darauf wuchernden Geschlechtsteilen und sexuellen Interaktionen hätte es das Staatsoberhaupt durchaus in Schwulitäten bringen können. Der Auftritt des Staatsoberhaupts wäre vor diesem Bildhintergrund sicherlich zu einem unfreiwilligen Lacherfolg geworden. 

Auf so viel Gnade können Sie bei ihrem nächsten Ausstellungsbesuch natürlich nicht hoffen. Ihre Kinder, Freunde oder die Schwiegermutter werden erbarmungslos fragen, was dieses oder jenes soll oder im Museum zu suchen hat. Ungeduldig und mit bohrendem Blick erwarten sie von Ihnen einen Kommentar – allerdings einen, der qualifizierter daher kommt als »Das sagt mir was« oder »Ich will mein Geld zurück!« 

Sind wir der Kunst wirklich sprachlos ausgeliefert? Gibt es eine Alternative zu dem sinnfrei glitzernden Sprachlametta der Kunstexperten? Welche Rolle spiele ich im Kunstzirkus am überzeugendsten? 


– Die des manisch polternden Kunsthooligans, der selbst die geduldigste Kunstpädagogin zur Weißglut bringt (»Was soll der Schweinkram?« / »Damit verdienen die Millionen?« / »Meine Tochter malt bessere Bilder«)? 


– Die des geschmeidigen Kunststrategen, der die Kunst konsequent nach ihrem Marktwert beurteilt und gern den Eindruck macht, als sei er ein geldpotenter Player (»Das hätte man mal früher kaufen sollen.« / »Der hat sich mittlerweile auch international durchgesetzt«).

– Oder die Rolle des sendungsbewussten Anwalts der modernen Kunst, der mit ernster Miene auch das lächerlichste Werk so schlau redet, dass einem die Ohren davon klingeln. Der vor jedem Pimmelbild eine kulturhistorische Verbeugung macht: »Die Annäherung an kulturelle Fragen wird durch Verweise auf Freud und Lacan und die Darstellung triebhafter Sexualität als eine der treibenden Kräfte der Kunst verdeutlicht.« Oder dem der Satz entfährt: »Das Werk evoziert eine karnevaleske Explosion unterdrückter Sehnsüchte.« »Geil!« hätte da vielleicht auch gereicht.

Oder wollen Sie womöglich gar nicht mitspielen? Sie haben dieses Buch geschenkt bekommen und können damit gar nichts anfangen? Klappen Sie es nicht gleich wieder zu – vielleicht will Ihnen jemand damit etwas sagen: (»Genau das Richtige für ein Vernissagenluder / einen Kunstprofessor / einen eingefleischten Banausen wie dich!«) Oder man wollte Ihnen tatsächlich etwas Gutes tun, Ihnen einfach nur etwas an die Hand geben, mit dem Sie die Begegnung mit Kunst würdevoll überstehen. 

Sprechen über Kunst – die nackte Wahrheit im Museum. Foto: Steen T. Kittl.
Nichts als die nackte Wahrheit – beim Sprechen über Kunst geben wir viel von uns Preis …

Sprechen über Kunst – Mimikri für Fortgeschrittene

Anstelle seines Namens stand auf der Visitenkarte eines Kunststudenten nur der ominöse Satz: »Interessiert mich nicht!« Mit einem maliziösen Lächeln überreichte er die Karte Kommilitonen, wann immer sie ihm ein Gespräch über Kunst aufdrängen wollten. Über Kunst, so legt die trotzige Geste nahe, ist schon genug geredet worden. In den frühen 1990er Jahren redeten alle, die etwas mit Kunst zu tun hatten, unentwegt von der ›Postmoderne‹ – einem damals schon abgehalfterten Begriff, der so seriös war wie eine Briefkastenfirma auf den Cayman Islands. Heute sprechen nur noch Kunstexperten von »Postmoderne«, die in den letzten 20 Jahren im Koma lagen. 

Wer heute beim Kunstklatsch mit kaltem Kaffee wie »anything goes« aufwartet, bekommt es garantiert durch mitleidige Blicke quittiert. So billig kann man nur noch in der Provinz (oder politisch korrekt: Peripherie) den Status als Experten erwerben. Dass alles Mögliche Kunst sein kann, wissen heute selbst die verbohrtesten Kunstmuffel – schließlich berichtet selbst die Boulevardpresse regelmäßig über Müllinstallationen, den Hitlergruß zelebrierende Performancekünstler oder spektakuläre Verkaufspreise.

Waren es in den 1950er Jahren noch die mehr oder weniger abstrakten Skulpturen des britischen Bildhauers Henri Moore (»Der mit den Löchern«), die große Aufregung bei ihrer Anschaffung für öffentliche Plätze auslösten, so sorgten in den 1970er Jahre andere Künstler für heftige Debatten um moderne Kunst und ihren Wert. Ein Ankauf des Münchner Lenbachhauses war damals besonders umstritten, denn das Werk bestand hauptsächlich aus zwei rostigen Leichenpritschen.

Zeige deine Wunden heißt die Installation von Joseph Beuys, die damals 270.000 DM kosten sollte (»So billig – wie süß!«). Und obwohl ein Mäzen die Hälfte des Betrages beisteuerte, war die Aufregung groß. Journalisten interpretierten das Ganze als raffinierte Gaunerei und bewunderten das eigentliche »Kunststück«, für einen Haufen Müll einen Haufen Geld zu bekommen. Jeder, der Zeitung liest, weiß, dass so etwas sonst nur der Mafia in Köln oder Neapel gelingt. 

Beuys in Aktion, hier erklärt er einem toten Hasen die Bilder.

So kann man natürlich bestens und immer wieder über Kunst streiten und doch immer nur um den heißen Brei herumreden. Der von Kunstkennern gebetsmühlenartig wiederholte Hinweis, der Preis eines Werks ergäbe sich nicht aus der Wertigkeit der Materialien oder der handwerklichen Finessen, sondern aus dem über Jahrzehnte entwickelten Konzept des Künstlers, überzeugt im Zweifelsfall nicht einmal die, die es behaupten.

Realistischer sind jene, die die exorbitanten Preise als Entschädigungszahlung für lange Künstlerjahre in Armut interpretieren. Noch realistischer jene, die darauf verweisen, dass der hohe Preis eine Sache vor dem Müllschlucker schützt, die man eigentlich zu nichts gebrauchen kann und deren Wertentwicklung völlig offen ist.

Jeder kennt das: Beim Frühjahrsputz landet irgendein billiger Firlefanz schnell mal im Abfall, obwohl er einen gewissen Erinnerungswert hat. Einen aberwitzig teuren Bildband, in den man nie wieder hineinschauen wird, schleppt man von Umzug zu Umzug und vererbt ihn schließlich seinen undankbaren Kindern. 

Die Aussage »Interessiert mich nicht« bringt eine weit verbreitete Einstellung zur Kunst zum Ausdruck: Gleichgültigkeit. Dass man dieser Haltung sogar in den Treibhäusern des künstlerischen Nachwuchses begegnet, ist nur auf den ersten Blick verwunderlich. Schließlich geht es Künstlern ja in erster Linie um ihre eigene Kunst. Und für die wollen sie sich schließlich auch nicht in stundenlangen Diskussionen rechtfertigen.

Gern hängen sie der Überzeugung an, dass Kunst Ergebnis genialischer Eingebung ist. Für sie ist die Kunst frei und kein Gegenstand von Diskussionen. Womit wir bei einer anderen, ebenfalls weit verbreiteten Einstellung zur Kunst sind, die sich vor allem bei kulturell interessierten Zeitgenossen findet: sprachlose Ehrfurcht. 

Sprechen über Kunst – ein altes Problem

Diese Ehrfurcht beim Sprechen über Kunst hat einen langen Bart. 1803 kommentierte der damalige Direktor des noch recht jungen Louvre die unter Napoleon zusammengeklaute Sammlung antiker Kunstschätze: »Man wagt nur mit Zittern und Zagen einige Sätze über ihre Vollkommenheiten zu sagen.« Damit gab er die Marschroute vor, auf der auch der Philosoph Arthur Schopenhauer vom Betrachter vor allem Demut und Schweigsamkeit gegenüber der Kunst einforderte.

Solche strengen Vorgaben, wie die Annäherung an ein Kunstwerk auszusehen habe, ergaben sich mit der Öffnung der Museen für die Bürger am Ende des 18. Jahrhunderts. Bis dahin konnten nur die Fürsten oder Bischöfe die Werke genießen. Die neue Möglichkeit einer freien Begegnung von Kunstwerk und Bürger, ohne Hofstaat, wurde mit der Kultivierung strenger Rituale wieder eingeschränkt, in denen sich der Betrachter unterwürfig dem Kunstwerk zu nähern habe – in der Hoffnung, von ihm eine geistige Bereicherung zu erfahren oder emotional ergriffen zu werden.

Hier werden die Betrachter sogar Teil des Kunstwerks: Katharina Grosses Raummalerei im Hamburger Bahnhof in Berlin.

Bis heute schleichen die Museumsbesucher schweigend und ehrfürchtig um die Werke. Sie schweigen, denn das Sprechen über Kunst fällt ihnen schwer. »Ernsthafte Stützen der Gesellschaft legen das Gesicht in fromme Weihefalten vor bunten Kreisen und Dreiecken«, spottete der Maler Rudolf Schlichter im 20. Jahrhundert über die Betrachter abstrakter Kunst. Allenfalls flüstert man ein paar verlegene Bemerkungen (»Ich wusste gar nicht, dass die hier auch einen Kandinsky haben« – »Mm-mmh«) – stets darauf bedacht, die Andacht der anderen Museumsbesucher nicht zu stören. 

Aber es ist nicht nur dieses überkommene Ritual, das uns das Sprechen über Kunst so schwer macht. Optische Eindrücke lassen sich oftmals deshalb schwer in Worte fassen, weil sie gleichzeitig und als Einheit wahrgenommen werden, während Worte linear, nacheinander gesprochen werden. Die Worte laufen den optischen Eindrücken förmlich hinterher und bilden eine Erzählung. Doch die Bildende Kunst ist von ihrem Wesen her – ähnlich der Musik – nur selten am linearen Geschichtenerzählen orientiert.

Wem in der Beschreibung dessen, was er sieht, allmählich die Worte ausgehen, ist bis zu einer Schwelle vorgestoßen, an der das Beschreibbare endet und die Kunst anfängt. Konzentriert man sich auf ein Detail und beginnt womöglich Bezüge zu Gott und der Welt zu knüpfen, beschleicht einen das ungute Gefühl, das Ganze aus den Augen zu verlieren. In der Kunst gibt es meistens kein Happy End, weil es keine Geschichte gibt, die erzählt wird.

Daraus ergibt sich bei der intensiven Kunstbetrachtung eine besondere Art zu sprechen, bei der Satzbau und Grammatik in den Hintergrund treten: Sprechen über Kunst bedeutet dann nämlich: Ein »Stammeln«, ein assoziatives und spontanes Beschreiben und Assoziieren.

Dieses Stammeln oder besser »tastende Sprechen« ist dabei nicht unverständlich, sondern sinnvoll und hilfreich, wenn man direkt vor dem Werk steht. Diese Art von Kunstgespräch fällt schwer, weil sie zu einem Kontrollverlust führen kann: Man muss sich beim Sprechen über Kunst frei machen von Konventionen, muss spontan assoziieren, auch Falsches sagen dürfen.

Dazu muss man sich auch beim Sprechen über Kunst die Maske aus Kompetenzgehabe vom Gesicht ziehen, mit der man sich in Beruf und Alltag wappnet. Die Angst vor einer Blamage führt schließlich dazu, dass der Laie beim Sprechen über Kunst nicht mehr der Umgangssprache und ihrer mondlichtigen Genauigkeit vertraut, deren Trefflichkeit selbst jemand wie Thomas Mann schätzte.

Aus »Das verstehe ich nicht« wird dann: »Wirklich beeindruckend«, aus: »Das Werk ist mir so was von egal« wird »Interessant! Wie würden Sie das interpretieren« und die Frage »Wann ist die Führung endlich zu Ende« wandelt sich in: »Der Umfang Ihrer Sammlung ist in der Tat einzigartig!« 

Fehlt uns also nur die Lizenz zum Kunstverstehen, wenn wir an den Werken nicht nachvollziehen kann, was die Experten dazu sagen? Bei genauerem Hinhören und Hinsehen entpuppt sich das großspurige Reden oft genug als sinnentleerte Verbalakrobatik: vorgegossene Wortgewalten, die so autoritär daher kommen wie eine Arno-Breker-Skulptur und gleichzeitig so glitschig sind wie Beuys’ Fettecken (»Diese Werke unterminieren die tradierte Seherfahrung«).

Beim Sprechen über Kunst wiederholen und variieren die Insider, die Sammler oder Galeristen, immer wieder die verschiedensten Äußerungen begeisterter Zustimmung. In der Kunstszene herrscht das Prinzip der permanenten Selbstüberredung, der allseitigen Suggestion und Autosuggestion. Nüchterne Kritik und Analyse werden in diesem schönen Geschäft als hässliche Störgeräusche empfunden. Und mit den richtigen Worten lässt sich jede schlechte Kunst schön reden.

Der Kurator Jan Hoet, der einst für die 1992er-documenta verantwortlich zeichnete und damit Hunderttausenden von Besuchern vergrübelte Stunden bereitete, bildet ein Paradebeispiel innerer Zerrissenheit. Im Interview bekennt er: »Wenn ich eine Ausstellung besuche, spreche ich nicht gerne darüber.

Es sind zu viele Gedanken, die mich bewegen, um all das auszudrücken.« Doch dann fährt er umstandslos fort, einen ganzen Redeschwall über die ausgestellten Werke zu schütten. Auch Hoet weiß: Kunst ohne Gespräch wird zum toten Einrichtungsgegenstand. 

Sprache ist die einzige Möglichkeit, sich mit anderen Menschen über Kunst zu verständigen. Sollte der trickreiche Urvater der Konzeptkunst, Marcel Duchamp (1887 – 1968), der sich sonst gern in Schweigen hüllte, Recht behalten? Er postulierte, dass erst der Betrachter die Kunst zur Kunst macht. Dann wäre das Sprechen über Kunst sogar eine wesentliche, eine entscheidende Angelegenheit.

Sicher, niemand hat je bestimmt, dass man über alles reden muss. Und manchmal tut es dem Zusammenleben ganz gut, sich den Luxus zu leisten, keine Meinung zu haben – also einfach mal die Klappe zu halten. Aber wie in einer Ehe das verbitterte Stummwerden kein gutes Zeichen für eine gemeinsame Zukunft ist, bleibt die Hoffnung, ohne Sprache näher an die Kunst heranzukommen, illusorisch. 

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