Vom Stargaleristen zur gewaltsüchtigen Koksnase – der tiefe Fall des New Yorker Stargaleristen Andrew Crispo erschütterte die New Yorker Kunstszene Mitte der 1980er Jahre.
Stargalerist Andrew Crispo heuerte 1982 den jungen Bernard LeGeros an, der damals 19-jährige Neffe eines aus Manila stammenden Freundes. Der Sohn eines UN-Mitarbeiters war ebenso gut aussehend wie orientierungslos. Ein Studium schien ihm weniger verlockend als das Nachtleben Manhattans. Bernards natürlich brauner Teint und seine schokoladenbraunen Augen bezauberten Crispo auf den ersten Blick, gleichwohl jener keinerlei gleichgeschlechtliche Ambitionen hegte.
Die tödliche Muse des Galeristen
Bald arbeitete LeGeros als Sicherheitskraft für Andrew Crispo, denn es stellte sich heraus, dass sein schönes Äußeres mit einem fatalen Hang zur Gewalt kontrastierte. Ein Glücksgriff für Crispo, der so nicht nur einen hörigen Assistenten für seine sadomasochistischen Rituale hatte, sondern auch jemanden, der sich um die täglichen Belange eines Geschäftsmanns kümmerte, dessen exzessiver Kokainkonsum inzwischen einen ausgeprägten Verfolgungswahn hervorrief (seine Galerieangestellten überwachte er mit allen damals zur Verfügung stehenden elektronischen Mitteln).
Besonders tat sich Bernard bei Rollenspielen hervor, in denen er als Polizist verkleidet Schwule mit homophoben Beschimpfungen überziehen, mit Waffen bedrohen oder schlagen durfte. LeGeros war ein williges Werkzeug des Galeristen, für den die üblichen Spielregeln der Szene keinen Bestand hatten; Regeln des S&M, die festschreiben, dass nichts gegen den Willen der Beteiligten passiert und dass ein Code zum Beenden des Spiels vereinbart wird.
Eigil Dag Vesti war nicht der erste junge Schwule, der sich auf das gefährliche Spiel mit Andrew Crispo und dessen Executor/Muse LeGeros einließ, doch bei ihm geriet »die Party« völlig außer Kontrolle. Der norwegische Mode-Design-Student war wie Crispo und seine Clique jugendlicher Assistenten in den einschlägigen Clubs der Stadt unterwegs – dem Hellfire, Mineshaft, Cockring, Anvil und Alex in Wonderland.
Sein Studium hatte der 26-jährige Sohn eines Schiffkapitäns angesichts der vielen Ablenkungen in New York schon etwas aus den Augen verloren. Im Kreis seiner Freunde und Bekannten galt Eigil als echter Society Boy. Trotz gelegentlicher Modeljobs plagten den Norweger Geldsorgen und als Teilzeitstudent Probleme mit der Aufenthaltsgenehmigung.
In einer Freitagnacht, am 22. Februar 1985, geriet er beim Cruising in die Gesellschaft von Andrew Crispo und seiner gewaltverliebten Muse. Crispo kannte Eigil schon seit zwei Jahren aus Begegnungen in New Yorks Nachtleben. Was er nicht wusste: Andrew Crispo hatte LeGeros den ganzen Abend über schon heiß gemacht, dass dies eine gute Nacht sei, jemanden zu töten. Folglich brachte LeGeros sein Gewehr mit, um für die weitere Gestaltung des Wochenendes gerüstet zu sein. Schon häufiger war die Waffe Bestandteil von gemeinsamen Inszenierungen gewesen, allerdings beließ man es bisher bei Drohungen, die zum Bestandteil von Hard-Core-Spielen des BDSM gehören können.
Nach einer ersten Session in Andrew Crispos Apartment im Village, bei der sich Vesti unter anderem von der Muse auf Befehl des Galeristen mit einer Peitsche den Hintern versohlen ließ, fuhr das Trio Richtung Norden aus der Stadt und setzte sein Spiel auf dem Anwesen von LeGeros’ Familie fort, die an jenem Wochenende nicht zugegen war. Auf dem Weg dorthin soll Vesti noch die Landschaft am Hudson River bewundert haben: »Das ist so schön hier. Wo fahren wir hin?« – »Du fährst nach Norwegen. In einer verdammten Kiste«, soll Andrew Crispo erwidert haben.
Die Männer lachten, auch Eigil, der den Spruch als lustige Referenz an die Rollenspiele deutete, die man gleich wieder aufnehmen würde. Auf dem Grundstück von LeGeros’ Familie kam es neben Unmengen von Koks und Wein auch zum Einsatz diverser Hilfsmittel wie Halsband, Handschellen und Riesendildos.
Zeitweilig trug Eigil auch eine jener schwarzen Ledermasken, die den gesamten Kopf bedeckt und nur für Augen und Nase Öffnungen bietet. Ein grober Reißverschluss im Bereich der Mundpartie verleiht der Maske einen merkwürdig entmenschlichten Ausdruck und lässt sich bei Bedarf für orale Aktivitäten öffnen. Es war schon früher Morgen als laut Aussagen der Muse Andrew Crispo den maskierten Eigil wie einen Hund an einer Leine über den großflächigen Rasen führte und ihn schließlich gegen ein Auto pinkeln ließ.
Andrew Crispo gab den Regisseur des bizarren Rituals, in dessen Verlauf er seine Muse immer stärker gegen Eigil aufstachelte, der wiederum seine Rolle und die gelegentlichen Fausthiebe von LeGeros zu genießen schien. Vor einem kleinen Häuschen auf dem baumreichen Anwesen, das in früheren Zeiten zum Räuchern von Fleisch verwendet worden war, zwang Crispo den gefesselten Norweger, dessen Hose heruntergezogen war, in die Knie.
»Er ist jetzt bereit. Er möchte sterben. Erschieß’ ihn!«
Damit soll Andrew Crispo seinen Handlanger angewiesen haben, den Showdown des grausamen Schauspiels zu starten. Seine Muse jagte darauf bereitwillig Eigil Vesti zwei Kugeln in den Kopf. Seine Leiche bearbeiteten die Täter noch mit einem Jagdmesser; unter anderem schnitten sie den Rumpf auf, um dass Blut des Opfers in ein Weinglas tropfen zu lassen, das LeGeros’ Erklärungen zufolge allerdings zu dickflüssig war, um es zu trinken. Die beiden steckten die Leiche in Brand – mit mäßigem Erfolg.
In der Woche darauf versuchte es LeGeros noch einmal, doch die Maske auf Eigils Kopf blieb erhalten und ermöglichte die Identifizierung der Leiche, nachdem sie drei Wochen später von spielenden Kindern entdeckt wurde.
Der anschließende Mordprozess konzentrierte sich vor allem auf den geständigen LeGeros, der vom greisen, schwerhörigen Familienanwalt vertreten wurde – einem Juristen ohne jede Erfahrung mit Mordprozessen.
Während der 22-jährige Bernard LeGeros für über 30 Jahre hinter Gitter musste, blieb Andrew Crispo, der selbstverständlich einen mit allen Wassern gewaschenen Anwalt anheuerte und dank einer 100.000 Dollar Kaution auf freiem Fuß blieb, erstaunlicherweise – und zum Entsetzen der Familie des Opfers – unbestraft. Er verweigerte jede Aussage auf der Basis des Zeugenverweigerungsrechts, um sich selbst nicht zu belasten. (Das Geständnis von LeGeros als ausschließliche Basis für einen Mordprozess gegen Crispo wäre nicht zulässig gewesen. Allerdings war Crispos Anwesenheit am Tatort durch den Nachweis seiner Haare bestätigt.
Die Tatwaffe wurde bei einer Hausdurchsuchung im Lüftungsschacht seiner Galerie gefunden. Begünstigend für Crispo war jedoch, dass zahlreichen Indizien nicht weiter nachgegangen wurde und der Staatsanwalt von Rock County Kenneth Gribetz sich auf keinen Prominenten-Prozess einlassen wollte, dessen Ausgang womöglich einen Schatten auf seine bis dahin makellose Bilanz geworfen hätte.
Anklagen wegen Straftaten, die geringer wogen als Mord (wie Besitz der Mordwaffe, Beihilfe zum Mord, Verstümmelung einer Leiche, Behinderung der Justizbehörden etc.), waren nicht im Sinne des ehrgeizigen Juristen, der entsprechende Vorwürfe von Seiten der New Yorker Staatsanwaltschaft einfach aussaß. Dafür gab es wohl aber noch einen weiteren Grund. Denn schon einmal hatten sich die Behörden von Rock County blamiert.
Zu der Welt, die Crispo kreiert hatte, gehörte sein mysteriöses Image, das er durch Angebereien mit vermeintlich begangenen Morden, Verbindungen zur Mafia, selbst produzierten Snuff-Filmen etc. fütterte. So behauptete er einmal, Leichen unter einer Skulptur von Douglas Abdell im Garten seines Anwesens im feinen Southampton auf Long Island vergraben zu haben. Eben diesen Garten ließ man – in Erwartung eines spektakulären Massenkillerprozesses – im Zuge der Ermittlungen umgraben und fand … nichts.
»Man kann keinen Deal mit einem Mörder machen, um das Mastermind dahinter zu schnappen. Klar ist, in der Nacht wollten die beiden – Crispo und LeGeros – jemanden umbringen.«
DA Kenneth Gribetz
Schließlich musste Crispo in einer ganz anderen Angelegenheit in Haft: Unter anderem wegen der Hinterziehung von vier Millionen Dollar Steuergeldern wurde er zu sieben Jahren Freiheitsentzug verurteilt, kam allerdings schon nach dreieinhalb Jahren wieder frei. Um die Steuerschuld zu begleichen, ließ Crispo einen Teil seiner imposanten Kunstsammlung von Sotheby’s versteigern, was ihm rund 20 Millionen Dollar einbrachte, darunter die berühmte Skulptur Die Muse von Constantin Brancusi (1876–1957), die nach langen Umwegen nun zurück ins Guggenheim Museum gelangte.
Bis 1971 war sie im Guggenheim der Öffentlichkeit zugänglich, bis sich eine alternde Society Lady osteuropäischer Abstammung das Werk während der Öffnungszeit unter den Arm klemmte und mit nach Hause nahm. Das allerdings, nachdem diese Ileana Bulova Lindt einen elf Jahre währenden Prozess durch alle Instanzen geführt hatte, in dem sie die Skulptur als ihr Eigentum reklamierte und aus dem Konvolut herauslöste, das als Schenkung ihres 1958 verstorbenen ersten Ehemanns, des Uhrenfabrikanten Arde Bulova, ans Guggenheim ging.
Elf Jahre später, 1982, jagte Crispo mit viel List und großem Aufwand der Besitzerin Die Muse für 800.000 Dollar ab; der Zufall wollte es, dass er im selben Jahr seine ganz persönliche und ganz andere Art von Muse in seinen Besitz gebracht hatte, den jungen folgsamen LeGeros, der ihn zur Schöpfung einer dunklen Welt aus tödlichen Leidenschaften beflügelte.
Im Zusammenhang des spektakulären Mordprozesses kamen noch andere Straftatbestände ans Licht, die 1988 zu einem weiteren Prozess gegen Crispo und LeGeros führten. Ein früheres Opfer sagte aus, vom Galeristen und dessen Helfer im Herbst vor dem Mord an Vesti gekidnappt, gefoltert und mit dem Tod bedroht worden zu sein. Wieder mobilisierte Crispo die besten Anwälte, die schon bei der Juryauswahl ein glückliches Händchen hatten.
Einer der Geschworenen erwies sich in deren Beratungen als regelrechter Crispo-Fan. Während des Prozesses wurden vertrauliche Begrüßungsformen zwischen dem Geschworenen und Crispo beobachtet. Bei den Beratungen der Jury, die in ihrer Mehrheit zu einer Verurteilung neigte, kam es zu Handgreiflichkeiten. Anträge, den Crispo-Anhänger auszuschließen, lehnte der Richter ab, sodass es zu einem Freispruch kam. LeGeros hingegen hatte bereits gestanden und bekam weitere vier Jahre Haft (die er aber letztendlich nicht vollständig absitzen musste).
Der spektakuläre Schlusspunkt dieser Episode war nicht etwa Andrew Crispos Entlassung aus dem Gefängnis im Juli 1989, sondern ein Zwischenfall knapp zwei Wochen danach. Das luxuriöse Landhaus des Galeristen, inmitten feinster Residenzen der New Yorker High Society auf Long Island gelegen, war von einem alten Freund als Willkommensgeschenk gerade erst neu dekoriert worden. Vollgestopft mit zahlreichen wertvollen Kunstwerken wurde es durch mehrere Explosionen und einen anschließenden Großbrand dem Erdboden gleichgemacht.
Auch wenn der Verdacht nahe lag, dass einer der zahlreichen Feinde Andrew Crispos einen Vergeltungsschlag verüben wollte, war dies eine weitere Gelegenheit für Crispo, seinen im Gefängnis brachliegenden Geschäftssinn wieder unter Beweis zu stellen: Er verklagte den Gasversorger von Long Island auf Schadensersatz und bekam über acht Millionen Dollar – wenn der Brand ein Akt der Vergeltung gewesen sein sollte, dann hat er ebenso in die Irre geführt wie das gesprochene Recht im Fall Andrew Crispo.
Hier geht es zu Teil 1 der Geschichte.