Die Kunstwelt hat viele Skandale und Korruptionsaffären hervorgebracht, die aber nichts daran ändern, dass diese Welt vor allem mit den schönen Musen und Inspiration, kultiviertem Benehmen und der »ars vivendi« assoziiert wird – eine Welt, in der Geld keine Rolle spielt. Diese Vorstellungen werden von einer angestrengten Vergesslichkeit in der Kunstwelt unterfüttert, die sich zwar gern atemberaubenden Werken und faszinierenden Künstlerpersönlichkeiten widmet, Manipulationen, Verbrechen und andere harte Fakten im Kunstgeschäft hingegen lieber ausblendet. Höchste Zeit, ein paar dieser vergessenen Gestalten zu beleuchten.
Eine der finstersten Gestalten verkörpert der einstige Stargalerist Andrew Crispo, dessen rasanter Aufstieg zum Platzhirsch unter den New Yorker Galeristen Mitte der 1970er Jahre begann. Nach dem Ausbau der Galerieräume im prestigeträchtigen Fuller Building auf der Upper Eastside Manhattans konnte sich der Kunsthändler rühmen, den größten nichtmusealen Ausstellungsraum des Landes zu betreiben.
Allerdings sammelten sich in Crispos Kundenkartei zunächst vor allem Börsenmakler und Hollywoodberühmtheiten wie Liza Minelli, Julie Andrews und Steve Martin. Dem Bedürfnis, in der Kunstwelt als Top-Kunsthändler geschätzt zu werden, war das nicht sehr zuträglich. Nur wenn seriöse Großsammler den Weg in die Galerie finden oder sich vom Galeristen beraten lassen, besteht Hoffnung, zu einer echten Größe im Kunstgeschehen zu werden.
Diese Hoffnung materialisierte sich für Crispo in Gestalt von Baron Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza. »Heini«, wie Freunde den Erben des Stahlimperiums seines Großvaters August Thyssen nannten, investierte einen beachtlichen Teil seines Vermögens in seine Kunstleidenschaft, die ihn zum Stammgast in Crispos Galerie machte.
Baron Heini – das düstere Gegenstück zu Graf Bobby?
»Die Begegnung mit Bildern bedeutete mir immer mehr als die Begegnung mit den meisten Menschen«, gestand Heini einst in einem Interview. Das schloss die fünf Ehefrauen, die der zu Lebzeiten wohl größte Kunstsammler im Laufe seines Lebens hatte – darunter einige Models und eine ehemalige Miss Spanien, wohl mit ein. Über seine vierte Gemahlin Denise Shorto soll er gesagt haben: »Lange blonde Haare, Brasilien, sonst nichts.« Leute aus seinem Umfeld attestierten ihm, ein Langweiler mit düsterer Ausstrahlung zu sein, dessen Augen sich nur aufhellten, wenn das Gespräch auf Kunst oder Frauen kam, wobei die Kunst den Vorrang genoss.
Wenn er nicht auf Partys oder in Galerien rumhing flog er im Privatflieger nach Deutschland, um an einer Vorstandssitzung teilzunehmen, oder irgendwo eine Fabrik einzuweihen. Heini war Schweizer Staatsbürger und verzichtete bei seiner Einbürgerung 1950 eigentlich auf den Adelstitel, da diese in der Schweiz verboten sind. Trotzdem inszenierte er sich als Baron Thyssen-Bornemisza und ließ sich als Baron ansprechen – als würde sein unermesslicher Reichtum und der Ruf als einer der wichtigsten Kunstsammler der Welt nicht ausreichen.
Die Thyssens waren keine Adelsfamilie. Seine Ahnen entstammten einer Aachener Bäckersfamilie. Sein Urgroßvater Johann Friedrich heiratete günstig in eine Unternehmerfamilie, die in ein Drahtgeschäft investierte. Heinis Mutter war die ungarische Margit Freiin Bornemisza de Kászon et Impérfalva. Um ihren Titel zu bekommen, ließ sich Hans Heinrichs Vater – Heinrich Senior – sogar vom Schwiegervater adoptieren, dann aber alsbald von der Baroness wieder scheiden.
Heini übernahm schließlich nicht nur einen Teil der väterlichen Kunstsammlung, kaufte seinen Geschwistern ihre Anteile ab und baute sie zu einer der bedeutendsten Privatsammlungen aus, sondern übernahm auch den ungarischen Adelstitel, obwohl der in Holland geborene und mit Wohnsitzen in Großbritannien, Monaco, der Schweiz, Deutschland und Spanien ausgestattete Heini so viel mit Ungarn am Hut hatte wie ein Veganer mit Gulasch.
Nachdem der „Baron“ einige Male bei Crispo gekauft hatte, spazierten eines Tages Denise und ihr Geliebter Franco Rappetti in Crispos Galerie und legten dar, wie ab jetzt die Geschäfte zu laufen hätten. Rappetti war Thyssens rechte Hand und Berater für Kunsteinkäufe und gehörte damit fast zur Familie.
Dem geschäftstüchtigen Galeristen, der keine Woche verstreichen ließ, ohne Thyssen ein passendes Werk anzubieten, musste nun klargemacht werden, dass es keine Geschäfte mehr mit dem Baron ohne eine satte Provision für den blonden Italiener gäbe. »Vergiss es!« war Crispos Antwort, und dies bedeutete, dass Rappetti die Geschäftsverbindungen des Großsammlers fortan mit Geschick und Einflüsterung an Crispos Galerie vorbei lenkte.
Bis drei Jahre später, im Sommer 1978, ein mysteriöser Zwischenfall die Bahnen von Thyssen und Crispo wieder zusammenführte. Denise Shorto hatte allmählich die Nase voll von ihrem ständig zugekoksten Geliebten und suchte in New York Erholung von der aufreibenden Dreiecksbeziehung, die jahrelang in der Familienresidenz »La Villa Favorita« am Luganer See zelebriert worden war. Rappetti reiste der schönen Brasilianerin hinterher, wurde von ihr aber zurückgewiesen.
Einige Stunden später fand man Franco Rappettis Leiche nur mit einer Unterhose bekleidet auf dem Dach eines VW-Busses. Das kleine Fenster im elften Stock eines Gebäudes in der 58th Street, aus dem Rappetti in die Tiefe gestürzt war, stand noch offen. Und obwohl sich kein Abschiedsbrief finden ließ, wurde der Fall kurzerhand als Selbstmord aus Liebeskummer zu den Akten gelegt.
Nach Aussagen von Rappettis Gastgeberin hatte er durchaus einen lebensmüden Eindruck gemacht. »Er sprang, aber er wurde auch gestoßen; gestoßen von scharfen, emotionalen Waffen.« (nur sieben Jahre später sollte es zu einem ganz ähnlichen Zwischenfall in New York kommen, bei dem eine aufsteigende junge Künstlerin ums Leben kam. Mehr dazu hier.)
Crispo erkannte die Gelegenheit, wieder auf dem Radar des Barons zu erscheinen. Überraschenderweise war er es, der für die Überführung des Leichnams nach Italien aufkam. Kein Wunder, dass es später auch Gerüchte gab, nach denen Crispo den gierigen Art Consultant auf Thyssens Geheiß ins Jenseits befördert habe. In der High Society wuchs nach diesem Zwischenfall aber vor allem Heinis Nimbus. Fortan jedenfalls brummte das Geschäft mit dem Großsammler, der in Crispos flinker Hilfe nach dem Todesfall einen echten Freundschaftsdienst sah, aber auch den Zugang zu wilden Partys schätzte, den ihm sein Galerist verschaffen konnte.
Manchmal waren es drei oder mehr Millionen, die der Baron in einer Woche auf das Konto der Galerie überwies. Picassos, Klines, de Koonings, Pollocks und jede Menge Landschaftsbilder – Crispo hatte alle Mühe, den Kunsthunger von »Heini« zu stillen. Und plötzlich führte für alle anderen Galeristen nur noch ein Weg zu Thyssen – über die Andrew Crispo Gallery.
Um Thyssen langfristig an die Galerie zu binden und als genialer Entdecker aufzutreten, scheute Crispo nicht davor zurück, die Provenienz der Werke zu verschleiern. Die Label und Zertifikate auf der Rückseite der Gemälde mussten von seinen Angestellten mühevoll beseitigt werden, damit »der Baron« nicht auf die Idee kam, doch direkt zu einer der anderen Galerien zu gehen, von denen Crispo die Werke für seine Deals erhielt und dafür fürstliche Aufschläge kassierte.
Zu den von ihm vertretenen Künstlern zählten der für seine Schrott- und Müllakkumulationen berühmte Arman (1928–2005), einer der ersten Abstrakten Expressionisten Richard Pousette-Dart (1916–1992), der Bildhauer Douglas Abdell (geb. 1947) sowie Lowell Nesbitt (1933–1993), der eine Zeit lang für seine riesigen Blumenstillleben und männlichen Akte geschätzt wurde.
Teilweise nährte Crispo selbst Gerüchte über seine Beteiligung an Rappettis Tod; überhaupt neigte er zunehmend dazu, seiner Biografie einen mysteriösen Touch zu geben. Das wiederum korrespondierte mit Crispos sexuellen Leidenschaften, in denen Gewalt eine immer größer werdende Rolle spielte, wie es der amerikanische Reporter David France in einer detaillierten Reportage über Crispo und seine Machenschaften darstellte.
Crispo, dessen Vermögen zeitweise auf 50 Millionen Dollar geschätzt wurde, tauchte immer tiefer in eine selbst geschaffene Welt ein, in der junge Männer als Besetzung seiner S&M Inszenierungen dienten. Immer wieder lud er sie in seine Wohnung ein und nötigte sie mitunter gegen ihren Willen zu gewalttätigen Sexspielen. Neben Geld flossen dabei auch Unmengen Alkohol, üppige Dosen Kokain waren obligatorisch.
Auf der Suche nach einer Muse
Gelegentlich beobachtete der notorische Galerist mit einem Fernglas eine Telefonzelle auf der Kreuzung nahe seiner Wohnung im Village. Wenn ihm jemand an dem Fernsprecher gut gefiel, wählte er auf gut Glück die Nummer und lud den verdutzten Mann zu sich ein, mit erstaunlich hoher Erfolgsquote.
Manchmal führte er seine Beute auch breit grinsend seiner Belegschaft in der Galerie vor, wo er die jungen Männer schnurstracks in den Lagerraum führte, um ihnen dort auf einer ungemütlichen Couch eindringliche Lektionen zu erteilen. Gelegentlich gab es Kollateralschäden, etwa wenn Crispo die Knaben aus terminlichen Gründen in seiner Wohnung zurücklassen musste. Einmal bekam Crispo den Anruf eines aufgebrachten Freundes, der im gleichen Gebäude einige Stockwerke tiefer wohnte:
»Andrew! Um Gottes Willen. Ich habe gerade gesehen, wie die Kissen deines Sofas an meinem Fenster vorbei fallen. Und … Jesus! Da fliegt dein Franz Kline!«
Neben diesem Bild gingen durch den gewalttätigen Wutausbruch von Crispos Gespielem weitere Kunstwerke zu Bruch; die Gesamtkosten für die Renovierung der Wohnung beliefen sich auf knapp eine Million Dollar. Der zugedröhnte Täter wurde noch im Apartment festgenommen. Doch meistens achtete Crispo darauf, die Kontrolle zu behalten.
Im Laufe der Zeit steigerte sich seine BDSM-Leidenschaft zu einer fatalen Obsession. Kokain, Lederpeitschen, Riesendildos, Handschellen, Polizei- und SS-Uniformen sowie immer häufiger auch Schusswaffen waren die Requisiten in seiner Welt aus Dominanz und Unterwerfung, in der die dabei allgemein gültigen Regeln – die unabdingbare Einvernehmlichkeit und zusätzliche Sicherheitkonventionen – immer mehr missachtet wurden .
Während sich Crispo bei diesem Wechselspiel aus Qual und Ekstase gelegentlich über seine wegen der Unmengen konsumierten Kokains blutende Nase ärgerte, gerieten die Galeriegeschäfte allmählich ins Abseits. Probleme mit der Steuerbehörde veranlassten den Kunsthändler zu einem gewagten Doppelspiel mit schwarzer Kasse und gefälschten Belegen.
In einem Prozess wegen Steuerhinterziehung brüskierte er die Kanzlei eines alten Freundes, indem er nicht zu Verhandlungsterminen erschien und die sich zu seinen Ungunsten entwickelnde Prozesslage als Unfähigkeit der Anwälte auslegte. Sein kaum noch kaschierter Habitus als skrupelloser, wenn nicht gar gefährlicher Geschäftsmann führte dazu, dass die Künstler seiner Galerie nach und nach den Rücken kehrten. Auch der »Baron«, sein bis dahin treuster Kunde, zog sich aus Angst vor einer Verwicklung in die Steuerprobleme des Galeristen zurück. Damit war das Ende der Galerie nur noch eine Frage der Zeit …