Traumberuf Künstler – immerhin gilt seit Jahrhunderten das Wort von der brotlosen Kunst, und es ist ein immer wieder bestätigter Allgemeinplatz geworden, dass die meisten Künstler weder berühmt noch wohlhabend werden, geschweige denn mit künstlerischer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Trotzdem ist die Sehnsucht nach einem kreativen Beruf und einer Künstlerkarriere ungebrochen.
Im Vergleich zu anderen Branchen scheint das Scheitern in der Kunst der Regelfall und der wirtschaftliche Erfolg des Künstlers die Ausnahme zu sein.
Trotzdem haben die Kunstakademien wie die Berliner UdK noch immer starken Zulauf. Die Mitgliederzahl hauptberuflicher bildender Künstler beispielsweise in der deutschen Künstlersozialkasse verdreifachte sich in den letzten 20 Jahren auf rund 60.000, die Zahl der erwerbstätigen Künstler insgesamt geht in Richtung 200.000. Ähnliche Tendenzen sind in der Schweiz und Österreich feststellbar.
Es gibt handfeste Gründe, warum das Berufsbild des Künstlers Wertschätzung erfährt: In den letzten, krisenbewegten Jahren ist der Künstler fast schon zum neuen gesellschaftlichen Leitbild geworden: Das kreative, dynamische, lernfähige und kommunikative Individuum als Phänomen der veränderten Arbeits- und Lebenswelten der postindustriellen Gesellschaft; der Künstler als der auf die eigene Identitätsbildung bezogene Mensch. Schon wird in der Wirtschaftsberatung der Künstler als Pionier, als Typus des neuen, hochflexiblen, mit social skills ausgestatteten Arbeitnehmers dargestellt.
Darüber hinaus steht die Frage im Raum, inwieweit kulturpolitische Interventionen für eine Gesellschaft identitätsstiftend sein können, ob Kultur, insbesondere Kunst den inneren Zusammenhalt einer Gesellschaft stärken kann, die heftigen Transformationsprozessen ausgesetzt ist. Optimisten sprechen hier gerne von einer Symbiose zwischen Kunst und Wirtschaft, von zunehmender Verflechtung beider Sphären: Während sich die Kunst ökonomisiere, ästhetisiere sich die Wirtschaft, die Berührungsfläche beider Welten sei für beide profitabel.
Auch wenn hier eine gesunde Skepsis angebracht ist, lässt sich doch nicht übersehen, dass in den letzten Jahren die gesellschaftliche und ökonomische Bedeutung von Kunst und damit das Tätigkeitsfeld für bildende Künstler erheblich gewachsen ist, wie die folgenden Beispiele zeigen:
Kunstausstellungen als Eventkultur im Städtemarketing und Tourismus; Museen, Galerie- und Künstlerviertel als regionale Leuchttürme in Gebieten des Strukturwandels („Bilbao-Effekt“); Künstler als Zwischennutzer heruntergekommener oder leerstehender Viertel/Immobilien; Künstler als Botschafter in der Auswärtigen Kulturpolitik („Kulturaustausch als Krisenprävention“); Kunstbetrachtung als Trainingsstoff für Personalentwickler und Unternehmensberater; Kunstwerke als Stimulans für Mitarbeiter und zur Förderung der Firmenidentität, Kunstförderung als PR-Instrument.
Kunst wird in unserer Gegenwart geschätzt als „Hypermedium der Öffnung“ festgefügter Strukturen und Wahrnehmungen, der Kunstbetrieb gilt als Laboratorium neuer Ideen und Organisationsformen, die dann von der Wirtschaft adaptiert werden können. Man könnte denken, dass der Künstlerkarriere alle Türen offenstehen.
Traumberuf Künstler – aber ohne Traumgehalt
Nicht mit dem Bedeutungszuwachs der Künstler ist jedoch ihr Einkommen mitgewachsen – zahlreiche Künstlerinnen und Künstler sowie Angehörige anderer kreativer Berufe haben Mühe, ihre Lebensgrundlage oder ihre Kunstproduktion finanziell abzusichern. Künstler ist nicht gleich Künstler.
Es gibt zwar immer mehr Menschen, die den Traumberuf Künstler ergriffen haben, doch die meisten von Ihnen agieren auf einer wenig professionellen Ebene, sind Hobby-, Teilzeitkünstler oder allenfalls regional bekannt – also weit entfernt von einer Künstlerkarriere.
Andere verdienen trotz enormem Talent, aufreibender Arbeit und Bereitschaft, alles stehen und liegen zu lassen, um Verbindung zu einer gut vernetzten Schlüsselfigur im Kunstbetrieb aufzubauen, gerade immer genug, um das Pflänzchen Hoffnung am Leben zu halten und weiterzumachen. An der Spitze ist nämlich nach wie vor nur sehr begrenzter Platz.
Doch wie wird man zum international beachteten, von den Qualitätsmedien und Museen geschätzten, und gut verdienenden professionellen Künstler? Der Kunstbetrieb funktioniert, bildlich ausgedrückt, wie ein Insiderkartell. Urteile über Künstler und Bewertungen von Werken resultieren häufig aus Gerüchten, informellen Absprachen, persönlichen Vorlieben und persönlichen Beziehungen. Die Macht im Kunstbetrieb scheint unsichtbar zu sein und wirkt deshalb faszinierend.
Hier gibt es viele Möglichkeiten, vergeblich nach Einlass zu suchen oder blamabel aufzulaufen: Der unbekannte Künstler spürt es, wenn er mit der Mappe unter dem Arm bei den Galerien Klinken putzt, der Kaufinteressent, wenn er beim Galeristen weit hinten auf die Warteliste für ein begehrtes Werk gesetzt wird, der Kritiker, dessen Texte nirgends gedruckt werden, der Galerist, der nicht zur Kunstmesse zugelassen wird und das Provinzmuseum, das vergeblich um Leihgaben für seine Sonderausstellung bettelt.
Ein Künstler, den die Meinungsführer zum Star machen, muss schon mit Werken in Sammlungen präsent, in Insiderkreisen bekannt sein und kurz vor dem Durchbruch stehen. Dann greifendie Netzwerke und Kartelle von Großsammlern, Spitzengaleristen und Museumsdirektoren, die alle auf ihre Weise vom Aufstieg eines neuen Stars profitieren. Nun werden Werke im großen Stil auf Auktionen angeboten, Museumsausstellungen und Biennaleteilnahmen winken, es hagelt Kunstpreise.
Nichts ist erfolgreicher als Erfolg. Doch wie kommt man auf diese Ebene? Der Verstärkereffekt ist ein entscheidendes Prinzip des derzeitigen Kunstbetriebs. Weil selbst Insider kaum noch den Überblick über das weltweit Kunstgeschehen haben können, klammert man sich an Namen, die man schon einmal gehört hat. Je öfter man sie hört, desto interessanter und talentierter erscheinen die Künstler.
Traumberuf Künstler – Aufwachen in der Realität
Für die Künstlerkarriere ist es ausschlaggebend, aus dem riesigen Angebot immer neuer Newcomer, neuer Tendenzen, neuentdeckter Kunstschauplätze herauszuragen. Die Werke müssen schnell und eindringlich Aufmerksamkeit erzeugen, müssen sich durch eine Geschichte, einen Witz oder eine Anekdote leicht erklären lassen.
Der Kunstbetrieb hat sich hier immer stärker an die Mechanismen der PR-Branche angenähert. Vieles dreht sich im Kulturleben darum, wem es mit welchen Methoden gelingt, Aufmerksamkeit für seine Werke und Auftritte zu erzeugen – insofern herrscht hier der gleiche Mechanismus wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen und Branchen, wo mit den Methoden von PR und Marketing um Aufmerksamkeit potentieller Käufer gebuhlt wird.
In einer Zeit der “Überproduktion”, in der sehr viele Kulturproduzenten ihre Bilder, Objekte, Musik, Performances und Texte anbieten, und in der die Medienlandschaft in gleicher Weise mitgewachsen ist, kommt es entscheidend darauf an, welche Art von Öffentlichkeit, welche Art von Medien dem einzelnen Künstler Aufmerksamkeit schenken. Künstler lassen sich mit Recht als Pioniere eines sozialen Phänomens betrachten, das als „Casting-Gesellschaft“ bezeichnet wird: Eine um sich greifende Sucht nach Aufmerksamkeit, die von wachsender Individualisierung, von allgemeinem Selbstdarstellungsdrang und Medienresonanz bedingt wird.
Auch für den Normalbürger, den Nichtkünstler, ist Aufmerksamkeit mittlerweile zum Wert an sich geworden, und das Selbstbewusstsein des einzelnen hängt immer stärker von seinem „Einkommen an Aufmerksamkeit“ ab. Die Demokratisierung der Prominenz, die durch zahlreiche Casting-Shows im TV demonstriert wird, entspricht dabei Joseph Beuys’ Parole: Jeder ist ein Künstler. Was aber bedeutet die fortschreitende Entwicklung der Gesellschaft hin zu einer gigantischen Casting Show für die Künstler? Wie können sie unter diesen verschärften Bedingungen Beachtung finden?