Diktator und Künstler: Ein ungleiches Paar? Oder gibt es Gemeinsamkeiten? Beim Blick auf die Geschichte des 20. und des beginnenden 21. Jahrhunderts fällt auf, dass nicht wenige Diktatoren und autoritäre Herrscher dazu neigen, sich mit Künstlern zu umgeben und schließlich selbst als Künstler tätig zu werden.

Adolf Hitler gab hier mit seinem Hang zum Landschaftsaquarell (Frühphase), bzw. zum Denkmals- und Städtebau (Spätphase) ein Vorbild für kommende Generationen von Autokraten, so beispielsweise für den zeitweiligen (bereits verstorbenen) venezolanischen Führer Hugo Chaves. Von ihm existiert ein malerisches Frühwerk, welches er während eines Gefängnisaufenthaltes vor seiner Machtergreifung erschuf.

1993 saß Chaves wegen eines gescheiterten Putschversuchs in der berüchtigten Besserungsanstalt San Franciso de Yare ein und malte den nächtlichen Blick aus seiner Zelle. Später, als er Präsident des Landes geworden war, liess er das Gemälde „Der Mond von Yare“ zugunsten der Parteikasse der Vereinigten Sozialistischen Partei Venezuelas versteigern. 40 Bieter stiegen ein, schließlich erwarb ein einheimischer Unternehmer das Bild für respektable 180.000 Euro.

Der zukünftige Diktator hatte Zeit zum Malen: Hugo Chavez malte das Bild "Der Mond von Yare" im Knast.
Hugo Chavez, Der Mond von Yare 1993

Der langjährige starke Mann Russlands, Wladimir Putin, verblüffte die Öffentllichkeit im Jahr 2008 mit dem eigenhändigen Gemälde „Eisblumen auf bereiftem Fenster“, das er bei einer Charity-Aktion auf dem Petersburger Weihnachtsmarkt mit raschem, breitem Pinselstrich erschaffen hatte. Putins Bild erreichte kurz darauf bei einer Auktion den Preis von 37 Mio. Rubel (ca. 800.000 Euro) – die höchste Summe, die bis dahin auf einer russischen Kunstauktion für ein zeitgenössisches Gemälde geboten wurde.

Diktatoren und ihre Leidenschaft für Kunst

Autoritäre Herrscher, die künstlerisch weniger begabt sind, kompensierten dies gern mit der Stiftung prächtiger Museen. Napoleon hatte es seinerzeit mit dem Louvre bzw. Museé Napoleon vorgemacht. Viele Autokraten folgten diesem Muster, so auch der Schah von Persien und seine Gattin Farah Diba, die noch kurz vor dem Ende ihrer Herrschaft mit der Gründung eines Museums für zeitgenössische Kunst in Teheran ein Prestigeprojekt ins Leben riefen, das einerseits die Kunstsinnigkeit des Herrscherpaares, andererseits den kulturellen Anschluß an den Westen demonstrieren sollte.

Hastig wurde eine Kollektion zusammengekauft, Magritte, Picasso, de Kooning, Rothko, Warhol – die Auswahl wirkte beliebig, einige New Yorker und Londoner Händler wie Toni Shafrazi haben sich dabei eine Goldene Nase verdient. 1977 feierlich eröffnet, war ein Museum mit 120 zumeist westlichen Mitarbeitern entstanden, jedoch ohne kulturelle Bindung zur persischen Kultur, ein reines Elitenprojekt, das mit der Revolution und Flucht des Schahs bereits im Januar 1979 endete.

Wladimir Putin, Eisblumen auf bereiftem Fenster, 2008.

Ganz nach dem Vorbild von Napoleon wiederum inszenierte sich der berüchtigte afrikanische Diktator Zentralafrikas, Jean-Bédel Bokassa, auch genannt „Retter der Republik“, „Mann aus Stahl“ oder „Künstler und Führer“. Zunächst mit französischer Unterstützung als „Präsident auf Lebenszeit“ in der  amtierend, krönte er sich am 4. Dezember 1977 selbst zum Kaiser Bokassa I. Nach Bonapartes Vorbild kamen dabei allerlei antike Formen und Symbole zum Einsatz, Pariser Bühnendesigner und Couturiers taten vor Ort ihr Bestes, um die Show zum Erfolg zu machen.

Das berühmte Krönungsbild, das um die Welt ging, zeigt den Monarchen im Schoß eines gigantischen vergoldeten Adlers sitzend. Bokassa trug dabei Zepter, Degen, eine in Paris angefertigte Krone und eine 10 Meter lange Schleppe. Die Zeremonie wirkte wie eine seltsame Reminiszenz an den großen Korsen, an Frankreichs große Vergangenheit, diesmal unter tropischer Sonne und unter schwerem Kitschverdacht. Die Krönungsfeier kostete damals 22 Mio. Dollar – ein Viertel des Jahres-Staatshaushaltes in diesem bitterarmen Land.

Manche Diktatoren versuchten sich mit dem Bau gigantischer Paläste in die Geschichte einzuschreiben. Der rumänische „Conducator“ Nicolae Ceausescu ließ in den 1980er Jahren 7.000 Gebäude in der Hauptstadt Bukarest planieren, um dort seinen Palast errichten zu lassen, inspiriert von einem Besuch in Nordkorea. Bis heute gilt sein Wohnsitz als eines der größten Gebäude der Welt.

Die scheußliche Inneneinrichtung, einschließlich grottenschlechter Auftragsgemälde, dienen schaulustigen Museumsbesuchern jetzt als Gruselvergnügen. Da sieht man die Ceausescus in nordkoreanischer „Lieber-Führer“-Manier dem Volk zuwinken und Elena posiert auf einem Bild gar als Hochschulabsolventin – dabei soll sie die Schule nach der 8. Klasse verlassen haben.

Andere Staatsführer entdeckten ihre Liebe zu großen Denkmalsprojekten, mit den denen sie sich selbst verewigen. Dem burmesischen Diktator Than Shwe gelang dies mit dem prächtigen „Denkmal für die Ewigkeit“. Sein usbekischer Kollege Islam Karimow, der den unbescheidenen offiziellen Titel „Mann des Jahrtausends“ trug, fand mit der Figur des mittelalterlichen Reiterhordenführers Tamerlan sein Alter Ego, dem er fleißig Denkmäler bauen ließ. Saddam Hussein, damals irakischer Präsident und „Vorsitzender des revolutionären Kommandorates“, verschaffte den Künstlern seines Landes ebenfalls zahlreiche Aufträge in den Bereichen Malerei und Plastik.

Diktator Saddam als Inspirationsquelle für irakische Künstler (2002).

So schufen irakische Bildhauer z. B. die vier gewaltigen Saddam-Köpfe, die den Hauptpalast des Diktators in Bagdad zierten. Eine gewisse Schwäche des Diktators für malerische Fantasy-Motive fiel amerikanischen Soldaten auf, die 2003 die Privatgemächer des Präsidenten inspizieren: Da hingen großformatige Bilder vollbusiger Nymphen, muskelbepackter blonder Helden, Monster und surrealer Landschaften an den Wänden – offensichtliche Westimporte mäßig begabter Airbrush-Virtuosen, oder war hier gar der „Große Onkel“ persönlich am Werk?

Nachweislich ist der Führer der irakischen Baath-Partei jedenfalls als Fantasy-Buchautor in Erscheinung getreten. Auch in Gestalt eines Triumphbogens in Bagdad hat er sich selbst ein Denkmal gesetzt, das bislang länger standhielt als all die Feldherrenstatuen, Palastköpfe und Wandgemälde, die Amerikaner und Iraker nach der Invasion umgerissen oder übermalt haben.

Im August 1989 war dieser Triumphbogen nach Entwürfen von Saddam eingeweiht worden, er sollte den vorgeblichen Sieg der Iraker im iranisch-irakischen Krieg symbolisieren (tatsächlich war es ein mit großen Opfern bezahltes Remis gewesen). Die riesigen Fäuste, die zwei sich kreuzende Schwerter emporrecken, sollen nach Gipsabdrücken von Saddams Händen gefertigt worden sein. Die Schwerter ragen hoch wie Kräne in den Himmel, eine Straße führt unter ihnen hindurch.  

Diktator Saddam Hussein in einer Ausstellung
Kunstfreund Saddam beim Besuch einer Ausstellung. Zeitgenössische Fotografie.

Diktatoren sammeln stets einen ergebenen Hofstaat um sich herum, zu dem auch immer Künstler, Dichter, Architekten gehören. Doch irgendwann scheint es ihnen nicht mehr zu reichen, große Aufträge zu erteilen oder sich in den schmeichelhaften Auftragsarbeiten zu spiegeln. Sie drängen in ihrem Wunsch, auf allen gesellschaftlichen Ebenen als großer  Gestalter, als allmächtiger Demiurg Geschichte zu schreiben, in die Kunst, und werden Hobbymaler, Hobbyarchitekten und Laienautoren.

Saif al Islam, zweitältester Sohn Muhammars al Ghaddafi und lange Zeit als sein Nachfolger gehandelt), erlag ebenfalls dieser Versuchung und sah sich zeitweilig als Künstler, oder besser als Künstler-Wissenschaftler-Politiker. Saif wurde 2008 an der renommierten London School of Economics promoviert (Studiengang „Governance“) und lieferte 2002 im ebenfalls renommierten Pariser Institut du Monde Arabe sein Debüt als Maler ab.

Die Arbeiten, die er innerhalb von sechs Jahren produziert haben wollte, wirkten stilistisch äußerst heterogen. Mal schien Paul Klee, mal Salvador Dalí Pate gestanden zu haben, andere Bilder ähnelten nordafrikanischen Felsenmalereien. Die Ausstellung hieß seinerzeit: „Die Wüste schweigt nicht.“ Der Titel war geradezu prophetisch. Denn inzwischen ist es sogar sehr laut geworden in den Wüsten Afrikas und des Nahen Ostens, Bomben und Kanonendonner allerorten. Saif überlebte den Sturz seines Vaters und auch eine Verurteilung zum Tode. 2018 plante er sogar, bei Präsidentschaftswahlen in Libyen zu kandidieren, doch die Wahl konnte nicht stattfinden. Da spricht eigentlich nichts dagegen, die Karriere als Maler wieder aufzunehmen.

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