Fernand Roda, Jahrgang 1951, zählt neben Michel Majerus zu den bedeutendsten zeitgenössischen luxemburgischen Künstlern. In jungen Jahren war er Meisterschüler von Prof. Joseph Beuys in Düsseldorf. Im Gespräch mit King Kunst erinnert er sich anlässlich des 100. Geburtstags seines Lehrers an den berühmten Mann mit Hut und „Fettecke“.
King Kunst: Warum wollten Sie – als eher klassischer Zeichner und Maler – eigentlich gerade in Beuys’ Klasse aufgenommen werden und dort bleiben?
Fernand Roda: Ich hatte mich als junger Mann an drei Akademien beworben: An der École des Beaux-Arts in Paris, der Accademia di Belle Arti di Brera in Mailand und der Kunstakademie Düsseldorf. An allen dreien wurde ich angenommen.
Paris war zu der Zeit sehr verstaubt, Mailand fand ich zwar toll, das Schicksal wollte es aber anders: In Düsseldorf, die Bewerbungsmappe schon unterm Arm, beim Verlassen der Akademie, forderte mich eine komische Person mit Hut auf dem Kopf auf, die Mappe zu zeigen.
Nach kurzem Blick auf meine Arbeiten kam: „Du gehst da oben ins Sekretariat und sagst, du bist in meiner Klasse eingeschrieben.“ Ich fragte: „Ja, aber wer sind Sie denn?“ Antwort: „Ich bin Professor Beuys.“ Etwas eingeschüchtert, ohne Widerworte, bin ich dann ins Sekretariat, und so war ich bei Beuys eingeschrieben. Das war der Anfang.
Er war begeistert von meinen Arbeiten, auch von späteren. Ich hatte ihm klar gesagt, ich wollte Kunst studieren und nichts Weiteres. So wurde ich als einer der wenigen von Ihm gefördert. Auch wenn es eine Bildhauerklasse war, gab es Maler, nur Fotographie als Kunst mochte er nicht. Ich selber habe die ersten Semester Bildhauerei studiert.
Filmische Annäherung an Fernand Roda
KK: Hatte Beuys auch Interesse für das Kunstgeschehen und den sozialen Alltag in Luxemburg, Belgien und den Niederlanden?
Fernand Roda: Beuys war schon damals weltweit vernetzt, das sah man an dem Zuspruch von internationalen Künstlern, die oft in Düsseldorf waren. Ob er sich für den sozialen Alltag in Benelux interessierte, glaube ich nicht. Aber er kannte Kutter. [Gemeint ist der luxemburgische Maler Joseph Kutter (1894-1941), der in der Vorkriegszeit auch in Frankreich und Deutschland bekannt war. Anm. KK]
KK: War Beuys ein charismatischer Mensch?
Fernand Roda: Er war zu der Zeit der extrovertierteste moderne deutsche Künstler. Sein Auftreten mag wie eine Inszenierung wirken, war es aber nicht. Joseph Beuys war authentisch wie er auftrat, vielleicht liegt darin die Faszination. Es gab viele Studenten, die ihn nahezu vergötterten, einige gingen sogar soweit, dieselbe Kleidung zu tragen – Angler-Weste und Hut. Andere belächelten diese „Fans“ wiederum.
KK: Wie war das Diskussionsverhalten und emotionale Klima in seiner Klasse? Was für ein Lehrer-Typ war er?
Fernand Roda: Beuys unterschied zwischen Masse und Klasse. Die Akademie war nicht zu vergleichen mit anderen Universitätsbetrieben. Es wurde von Anfang an eine künstlerische Selbstständigkeit gefordert, die der Professor nur begleitet. So verlangte Beuys, dass man innerhalb von zwei Semestern perfekt zeichnen konnte. Er hat versucht, dein eigenes Können aus dir heraus zu kitzeln. Natürlich gab es in der Klasse Hierarchien, wie in jeder Gruppierung, die nicht immer positiv fürs Klima waren.
KK: Haben Sie damals gespürt, dass Joseph Beuys die Gesellschaft provozierte? Haben Sie Aggressionen gegen Beuys von Bürgern mitbekommen, oder gab es negative Reaktionen, wenn Sie erzählten, Sie seien Student bzw. Meisterschüler von Beuys?
Fernand Roda: Natürlich hat Beuys auch oft bewusst provoziert. So bekam er als Antwort bei einer Kunstaktion von einem Zuschauer einen Faustschlag mitten ins Gesicht und eine blutige Nase [Gemeint ist der berühmte Zwischenfall beim Fluxus-Festival in Aachen 1964. Anm. KK]. Er hat das Blut sofort in seiner Kunstaktion eingesetzt. Aus der Gewalt wurde Kunst. Wenn ich aber außerhalb der Akademie erzählte, ich würde bei Beuys studieren, zuckten viele nur mit den Achseln.
KK: Welche Werkgruppe/Kunstaktion von Joseph Beuys halten Sie heute für die kunsthistorisch bedeutendste?
Fernand Roda: Ich bin kein Kunsthistoriker, und die Geschichte ist noch nicht geschrieben. Was mir allerdings gefällt, ist zum Beispiel das Werk „Blitzschlag mit Lichtschein auf Hirsch“, aber auch viele Zeichnungen aufgrund ihrer Eigenwilligkeit.
KK: Konnten oder können Sie mit dem Konzept der „Sozialen Plastik“ etwas anfangen?
Fernand Roda: Eine Wortschöpfung, die viel und nichts bedeutet.
KK: Was wäre Ihrer Ansicht nach, kurz gefasst, das Vermächtnis von Beuys für heutige Künstler, für die heutige Gesellschaft?
Fernand Roda: Durch sein Wesen und Werk hat Joseph Beuys den klassischen Kunstbegriff komplett durcheinander gewirbelt und damit nachfolgenden freien Künstlergenerationen ein riesiges offenes Spielfeld in der Kunst eröffnet.