Kunst im Kreuzfeuer: Kunst und Künstler machen nicht nur Freude, sie können auch Aggressionen auslösen. Besonders in Krisenzeiten werden sie – wie auch andere auffällige Minderheiten – als Sündenböcke und Blitzableiter eines mitunter bewusst geschürten „Volkszorns“ markiert. 

Die wichtigsten Ressentiments bestanden in der Verdammung des Kunstmarktes als „Entweihung der Kunst“ und in der Pathologisierung der Künstler. Die Gegenwartskunst galt Reaktionären und Romantikern als Symbol einer unerwünschten gesellschaftlichen Modernisierung. In den 1920er und 1930er Jahren steigerten und radikalisierten sich die Ressentiments gegen moderne Kunst, weil sie mit dem grassierenden Antisemitismus amalgierten.

Felix Nussbaums Gemälde "Der tolle Platz" erzählt von den Generationskonflikten in der Kunstszene der 1920er Jahre. Damals stand die Kunst im Kreuzfeuer von Kulturkritik und Demagogie.
Felix Nussbaums Gemälde Der tolle Platz erzählt von den Generationskonflikten in der Kunstszene der 1920er Jahre. Damals stand die Kunst im Kreuzfeuer von Kulturkritik und Demagogie.

Nicht nur das Spekulative des Kunstmarktes, der zum Symbol eines irrealen und heißlaufenden Kapitalismus schlechthin wurde, stand im Mittelpunkt der Kulturkritik jener Zeit, sondern auch die Isolation der Künstler vom Volk. Polemisch-ressentimentgeladene Kritik am zeitgenössischen Kunstgeschehen kam von den Kommunisten, gelegentlich aus der bildungsbürgerlich-konservativen Mitte, in besonders aggressiver Weise aber von Rechts und kulminierte 1937 in der berüchtigten Kampagne „Entartete Kunst“. 

Warteschlange vor der berüchtigten Hetz-Ausstellung in München 1937. Fotograf unbekannt.

Es spricht einiges für die These, dass die Abneigung gegen moderne Kunst gerade in sogenannten kulturellen Anerkennungskrisen verstärkt wird. Von diesen Krisen sind bestimmte Schichten und Milieus besonders betroffen, während andere als Gewinner aus den gesellschaftlichen Transformationsprozessen hervorgehen.

Kunst im Kreuzfeuer politischer Extremisten

Sowohl die Kulturkämpfe in den 1920er Jahren, in denen der Expressionismus museale Weihen erhielt, als auch in den 1950ern, als die abstrakte Kunst im Westen hegemonial wurde,
hatten gezeigt, dass sich ganz bestimmte Milieus mit Gegenwartskunst identifizierten und andere diese Kunst als Ausdruck unerwünschter gesellschaftlicher Veränderungen vehement ablehnten.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten (eine Arbeit von  Elmgreen und Dragset) wurde seit seiner Errichtung 2008 mehrfach beschädigt. Foto: Christian Saehrendt, Berlin 2010
Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Berliner Tiergarten (eine Arbeit des Künstlerduos  Elmgreen und Dragset) wurde seit seiner Errichtung 2008 mehrfach beschädigt.

Möglicherweise lässt sich dieses Muster auch auf die Gegenwart übertragen. So liegt es nahe, die heutige Gegenwartskunst als Signet und Projekt einer neuen „Creative Class“ – eine Begriffsprägung des US-Ökonomen Richard Florida – zu interpretieren. Die Masse der Bevölkerung scheint der Gegenwartskunst hingegen teilnahmslos oder latent ablehnend gegenüberzustehen. In der Haltung zur Gegenwartskunst manifestiert sich offenbar eine gesellschaftliche Spaltung. Somit könnte das Thema für Extremisten und Populisten interessant werden, deren Geschäftsmodell ja gerade auf der Forcierung von gesellschaftlichen Spaltungen beruht.

Im Rahmen der Kunstaktion „zürich transit maritim“ wurde im Juli 2014 ein ausrangierter Hafenkran in der Zürcher Altstadt aufgestellt, der heftige Proteste der Schweizerischen Volkspartei hervorrief. (Foto: Wikipedia albinfo)

Viele Petitionen, Offene Briefe und Diskussionsveranstaltungen der vergangenen Jahre, wie etwa die von der kulturpolitischen Sprecherin der deutschen Grünen-Bundestagsfraktion Claudia Roth lancierte „Brüsseler Erklärung für die Freiheit der Kunst“, erweckten den Eindruck, die Gegenwartskunst sei wieder massiven politischen Angriffen von rechts ausgesetzt. Drohen also wieder „Weimarer Verhältnisse“? Heißt es also wieder: Kunst im Kreuzfeuer?

Auch heute heißt es gelegentlich: Kunst im Kreuzfeuer. 2017 gab es rechtspopulistische Proteste gegen die Skulptur Monument des syrisch-deutschen Künstlers Manaf Halbouni, der dafür ausrangierte Busse in der Dresdner Altstadt verwendet hatte. Er wollte damit auf den Bürgerkrieg in Syrien hinweisen.

Trotz der allgemeinen Verrohung der Debattenkultur im Social-Media-Zeitalter gibt es wesentliche Unterschiede zwischen 1932 und 2020. Damals war die Gesellschaft infolge des Ersten Weltkriegs enorm brutalisiert. Der Düsseldorfer Historiker Gerd Krumeich spricht von einer „Verbitterungsstörung“ der „um den Sieg betrogenen“ Kriegsteilnehmer. Diese flüchteten sich in Mythen und Verschwörungstheorien, die bald auch zivile, alltägliche und kulturelle gesellschaftliche Bereiche durchzogen. Selbst über Kunst oder Theater wurde entsprechend hasserfüllt und militant diskutiert.

"Straße frei ! Der Rote Wedding kommt !" - Demonstration der KPD in Berlin am 1. Mai 1929; Landesarchiv Berlin. Foto: Fotograf unbekannt;
„Straße frei ! Der Rote Wedding kommt !“ – Demonstration des kommunistischen Rotfrontkämpferbundes auf der Berliner Museumsinsel (vor der Nationalgalerie), 1920er Jahre; Foto: Landesarchiv Berlin, Fotograf unbekannt

Zudem war die damalige Gesellschaft viel ärmer, die Sozialstaat schwächer, Linksradikale und Rechtsextremisten waren viel zahlreicher. Nicht nur der historische Vergleich relativiert also den heutigen Alarmismus, er hält auch einer Realitätsprüfung der gegenwärtigen politischen Kräfteverhältnisse nicht stand – zumindest nicht im deutschsprachigen Raum. Tatsächlich sind der Kunstbetrieb, die Hochschullandschaft, die Kulturpolitik und die Feuilletonredaktionen weiterhin Domänen linksliberaler Akademiker. Und schließlich: Rechtspopulistische Parteien wie SVP, FPÖ, Rassemblement National, Lega oder AfD haben zwar zur Gegenwartskunst ein angespanntes Verhältnis. Doch in ihrer Agenda spielt Kunst höchstens eine Nebenrolle.

Kunst im Kreuzfeuer – gilt das heute auch noch (oder wieder)?

Gefahr für die Freiheit der Kunst geht aber nicht nur von den „üblichen Verdächtigen“, den Rechtspopulisten und religiösen Fundamentalisten aus, sondern kommt auch aus dem Inneren des Kunst- und Universitätsbetriebs, aus den Kunstakademien, und aus den Geistes- und Kulturwissenschaften. Antirassistische, queere und postkoloniale Diskurse und Positionen sind dort mittlerweile sehr relevant geworden, sichtbar beispielsweise in der Popularität der „Critical Whiteness Studies“.

Kunst als Zielscheibe identitätspolitischer Aktivisten: Die hölzerne Skulptur Scaffold des US-Künstlers Sam Durant bestand aus einer Kombination von sieben historischen Galgen. Auf der documenta 2012 in Kassel wurde das Werk nur beiläufig rezipiert. Doch als es 2017 im Park des Walker Art Centers in Minneapolis aufgestellt wurde, erhob sich Protest von Dakota-Aktivisten. 1862 waren 38 Angehörige des Stammes in der größten Massenexekution der Vereinigten Staaten erhängt worden, einer der von Durant verwendeten Galgen spielte darauf an. Das Werk trivialisiere die Geschichte des Stammes, es rühre an ihr Trauma, so der Vorwurf. Nach anhaltenden Protesten stimmten Sam Durant und die Direktorin des Walker Art Centers dem Abbau und der späteren Zerstörung des Werks zu. (Fotograf unbekannt, Kassel 2012)

Deren Anhänger, akademische und kulturrelativistische „Identitätslinke“, lehnen universalistische Werte wie künstlerische Autonomie und Meinungsfreiheit weithin ab. Die Freiheit der Kunst wird von ihnen als überholtes „weißes“, Privileg problematisiert, wenn nicht gar als „rechter“ Kampfbegriff denunziert. Diesen Protagonisten geht es primär nicht mehr um soziale Gerechtigkeit, sondern um Identitätsgerechtigkeit. Genau wie die Anhänger extremer rechter Ideologien und religiöse Fundamentalisten erkennen sie Autonomie der Kunst nicht an und bekämpfen sie. Auch sie zählen zu den Feinden der Kunst.

Worin genau besteht die Feindschaft gegenüber der modernen Kunst? Welche philosophischen, religiösen oder ideologischen Wurzeln hat diese Haltung? Der deutsche Philosoph und Psychoanalytiker Kai Hammermeister definierte Kunstfeindlichkeit als grundsätzliche Weigerung, die Autonomie der Kunst anzuerkennen, weil es Werte gäbe, die der Kunst übergeordnet seien.

Seit der Antike sind kunstfeindliche Positionen in Theologie und Philosophie bekannt. Durch die Jahrhunderte hatten sie Bestand, bis sie zu kulturellen Begleiterscheinungen der Moderne und Postmoderne wurden. Etwa die religiös-spirituelle Vorstellung, nach der Bilder die vollkommene Präsenz Gottes im Menschen blockierten: Der Raum, den die Bilder einnähmen, bleibe für Gott versperrt, schrieb beispielsweise der spätmittelalterlichen Theologe Meister Eckhart.

Eine ebenfalls bedeutsame kunstfeindliche Gedankenfigur war die Vorstellung, Kunst sei als Luxus, als Ressourcenverschwendung und somit als indirekte Beraubung der Armen zu betrachten. Seit der Antike kursierte zudem die Idee, die Beschäftigung mit Kunst führe zu einer Verweichlichung der Gesellschaft, speziell der Männer. Plutarch beispielsweise bemängelte, Künstler seien ungeeignet für Kriegsdienste.

Plastik "Hockende Negerin" des Bildhauers Arminius Hasemann. Foto: Christian Saehrendt 2020.
Im Mai 2019 beantragte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in der Bezirksverordnetenversammlung (BV) von Steglitz-Zehlendorf die Entfernung der Plastik Hockende Negerin des Bildhauers Arminius Hasemann. Ihr kulturpolitischer Sprecher Carsten Berger begründete das Vorhaben: Die schwarze Frau sei „nackt, affenartig und einfältig“ dargestellt und „stark geeignet, rassistische Stereotypen zu transportieren“. Dem widersprach die Kunsthistorikerin Susanne Kähler. Die Skulptur aus den 1920er Jahren stelle in der Auffassung des Art déco „in realistischer Art und Weise [eine] ältere, muskulöse aber gleichzeitig ausgemergelte schwarze Frau“ dar, bekleidet mit einem über den Schultern hängenden Überwurf, deren Blick „stolz erhoben“ sei. Hasemann habe die Afrikanerin „in sehr eigenwilliger Form wiedergegeben“, wobei Kähler auf die „für die Kunst der 1920er Jahre nicht untypische, aus heutiger Sicht rassistische Tendenz“ hinwies. Die BV folgte im Mai 2020 dem Antrag der Grünen. Im Juni 2020 schlugen Unbekannte im Kontext der Black Lives Matter-Bewegung der Figur den Kopf ab und besprühten sie mit Farbe. Der Torso wurde mittlerweile aus dem öffentlichen Raum entfernt.

Von Bedeutung war auch die Vorstellung, Kunst könne den Menschen verwirren und verunsichern. Laut dieser psychohygienischen Kunstfeindschaft kommen in der Kunst bedrohliche Elemente der Psyche zum Vorschein, das Kunstschaffen erscheint hier als Störung des harmonischen Seelenlebens. Die epistemologische Kunstfeindschaft schließlich wirft die These auf, Kunst erschwere oder verhindere gar die Erkenntnis der Wahrheit, indem sie Emotionen weckte, welche von rationaler Erkenntnis ablenkten.

Für Rousseau hingegen hatte die Kunst keine aktive zersetzende soziale Wirkung, sondern war Resultat und Symptom eines gesellschaftlichen und sittlichen Verfalls, der bereits eingesetzt hatte: Wenn Kunst und Kultur blühten, zeigten sie seiner Ansicht nach bereits den Niedergang des menschlichen Gemeinwesens an. 

Im Kern treten sie alle für kollektivistische Gesellschaftsformen und Gruppenidentitäten ein. Mit der Kunst bekämpfen sie die Idee des freien Individuums. Vielleicht sollte man sich an dieser Stelle in Erinnerung rufen, dass eine weitreichende Autonomie der Kunst nicht nur den Künstlern und Künstlerinnen nutzt, sondern der Gesellschaft insgesamt.

Der Text basiert auf der Monografie „Kunst im Kreuzfeuer. documenta, Weimarer Republik, Pariser Salons: Moderne Kunst im Visier von Extremisten und Populisten“, Stuttgart, 2020. Eine kritische Rezension von Paul Stephan ist hier zu lesen und eine Diskussion über das Buch mit dem Autor hier zu sehen:

„Kunst im Kreuzfeuer. documenta, Weimarer Republik, Pariser Salons: Moderne Kunst im Visier von Extremisten und Populisten“ – Diskussion mit Sofie Althoff, Thomas Bündgen und Christian Saehrendt im Literaturhaus Nordhessen, Kassel am 12. Mai 2021
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