Die aufrechte Haltung, der ernste Blick, die strenge, Blumengeschmückte Frisur und die zusammengewachsen dargestellten Augenbrauen: Magdalena Carmen Frida Kahlo y Calderón wurde buchstäblich zur Ikone der Kunstgeschichte.
Verehrt wird sie auch und vor allem von vielen sogenannten „Kunstlaien“, also im breiten Publikum, und dort vor allem von Frauen. Unter Kunstkennern und Intellektuellen ist sie umstritten. Bisweilen wird der Kahlo-Kult auch belächelt. So mancher Ignorant lässt beim Thema Frida Kahlo seiner Gehässigkeit freien Lauf – sie sei ja ohnehin nur für „Damenbart und markante Augenbrauen“ bekannt. Was ungefähr so fair ist wie Pablo Picasso auf seine bohrenden Augen und die berühmte Unterhose zu reduzieren.
Kunstkritiker wie Hans-Joachim Müller klagen, ihre Kunst sei allzu traditionell und leichtverständlich, es gäbe zu viel „Frida-Kahlo-Kitsch“, während Theoretiker behaupten, die Opferrolle Kahlos habe bloß über ihren Mangel an Talent hinweggetäuscht, und als kämpferisches Vorbild für Frauen und Unterprivilegierte tauge sie, die aus besserem Hause stammte, sicherlich nicht.
Konservative schmähen sie hingegen als die „Lieblings-Künstlerin aller Ethno-Öko-Kunstlehrerinnen“. Die Kritik missgönnt ihr den außerordentliche Beliebtheit und erklärt sie abfällig mit der „Verträglichkeit“, „leichten Lesbarkeit“ und dem „märchenhaften Erzählton“ ihrer Bilder. Man könnte dies als das übliche Genörgel von intellektuellen Besserwissern und Berufszynikern abtun.
Doch es lohnt sich, den Kult um die Kahlo noch einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und zu fragen: Was ist eigentlich schlecht daran, wenn eine Künstlerin populär ist? Und: Was sagt der Kahlo-Kult über unsere Gesellschaft aus?
„Für mich war Frida Kahlo schon lange bevor sie im Kunstkanon des Westens eine relevante Position eingenommen hat, eine faszinierende Persönlichkeit … Sie war immer stark und gleichzeitig verletzlich, politische Akteurin und eine sehr emotionale – auch leidende Frau, die all diese Widersprüche in ihrer Kunst der Nachwelt visualisiert überliefert hat. Das macht sie so einzigartig.“
Leonie Baumann, Rektorin Kunsthochschule Berlin-Weissensee
Mexiko deklarierte das Werk der Künstlerin bereits vor Jahren offiziell zum nationalen Kulturgut. Mittlerweile aber ist sie nicht nur die bekannteste Malerin Lateinamerikas, sondern die populärste bildende Künstlerin weltweit – weit vor anderen Exponentinnen wie Mary Cassatt, Camille Claudel, Paula Modersohn-Becker, Louise Bourgeois, Georgia O’Keeffe oder Maria Lassnig; von lebenden Künstlerinnen ganz zu schweigen.
Auch jene Künstlerinnen, die sich mit dem Surrealismus beschäftigten, sind praktisch nur noch Gegenstand von Fachdiskursen. Die meisten ihrer Zeitgenossinnen sind kaum noch präsent, wie auch unser Beitrag Die vergessenen Surrealistinnen darlegt.
Größere Ausstellungen oder Auktionen mit Kahlos Originalwerken sind selten, weil sie nur ein schmales Œuvre von 144 Gemälden hinterließ. Auf dem Kunstmarkt sind Arbeiten von ihr kaum zu finden – Popstar Madonna gehört zu den glücklichen Besitzern von Originalen, sie soll Fridas Bild Meine Geburt über ihrem Bett hängen haben.
Frida Kahlo-Fans auf der ganzen Welt
Im Jahr 2000 brachte ein Selbstporträt von ihr bei Sotheby’s mehr als fünf Millionen Dollar, gleichzeitig war das bis dahin der höchste Preis, der je für ein lateinamerikanisches Kunstwerk auf einer Auktion erzielt wurde.
Fridas Gemälde sind ein knappes Gut – auch als Leihgaben. Ihr Ehemann Diego Rivera verfügte, dass die Exponate, die sich im Museum Casa Azul in Coyacán befinden, Mexiko niemals verlassen dürfen. Internationale Kuratoren müssen daher oftmals auf die Sammlungen Dolores Olmendo Patiño (25 Bilder) und Gelmann (17 Bilder) zurückgreifen. All das macht ihre Kunst noch begehrenswerter und trägt zum Mythos um die Kahlo bei, der seit etwa 40 Jahren floriert und heute üppige Blüten treibt.
„Das Bild, das von Frida Kahlo vermittelt wurde/wird, ist in meinen Augen eines von Selbstbestimmung, von weiblicher Durchschlagskraft, von einer Stehauffrau …
… Frida Kahlo bietet für Frauen in ihrer Sensibilität, in dem Aufdecken ihrer seelischen Verletzungen, Anhaltspunkte der Identifikation. Was Frauen sich nicht trau(t)en zu sagen, vermittelt sie in ihren Bildern (dass man verletzt ist, dass man Schmerz fühlt)…”
Mechthild Achelwilm, Kuratorin Felix-Nussbaum-Haus Osnabrück, Juni 2020
Nicht nur Spielfilme, Dokumentationen, Sachbücher und Romane haben ihre Biografie zum Gegenstand oder wurden von ihrem Leben und Werk inspiriert, sondern auch Theaterstücke, Opern und Mode (z. B. Jean-Paul Gaultier).
Abseits der Sphäre der Hochkultur finden sich in den Weiten der Populärkultur, der Hobbykunst und des Designs zahllose Produkte, die von der Marke „Frida Kahlo“ zehren: Von Postereditionen und Mode im „Frida-Kahlo-Look“, „Fridamojis“ (eine Kreation des Galeristen Sam Canto) bis hin zu Sofakissen, Pillendosen, Kosmetikartikeln (Augenbrauenpulver „Frida“), oder selbstgebastelten Corona-Masken (Etsy).
Frida als geschönte Barbie
Für Kontroversen sorgte Mattel. Das Unternehmen brachte im Rahmen seiner Produktlinie „Women of Achievement“ eine Kahlo-Barbie auf den Markt, basierend auf Markenrechten, die der Konzern von der Frida Kahlo Corporation (FKC) erworben hatte.
Die deutlich geschönte Puppe stieß in Mexiko auf starke Kritik. Der Verkauf in Mexiko wurde von den Erben der Künstlerin sogar juristisch unterbunden – mit dem Argument, dass FKC nur die Rechte am Namen handelte, nicht am Bild der Künstlerin.
Auch die für ihre Frida-Verkörperung im Spielfilm bekannte Schauspielerin Salma Hayek schaltete sich in die Kontroverse rund um die Spielfigur ein: „Frida Kahlo hat nie versucht, wie jemand anderes auszusehen, sie hat ihre Einzigartigkeit gefeiert. Wie können sie nur eine Barbie aus ihr machen?”
Derweil gaben 90 Prozent der Amazon-Kundinnen für „Barbie FJH65“ Fünf-Sterne-Bewertungen ab.
2018 fragte der britische Guardian schon besorgt, ob die Künstlerin hinter dem Kitsch für all die Fans unsichtbar werde und verwies auf die zahlreichen kommerziellen Kooperationen der Frida Kahlo Corporation (FKC).
Kahlos Nichte und Erbin Isolda Pinedo Kahlo hatte der Firma die Rechte 2005 verkauft. Lizenzen vergab sie u. a. an Mango (T-Shirts) Princesse Tam-Tam (Lingerie und Bademoden), Flamingo Candles (Design) oder Mirabello Carrara (Luxus-Innenausstatter). Hinzu kommen zahllose persönliche und volkstümliche Aneignungen von Frida Kahlo – in den Bereichen Mode, Kosmetik, Dekoration und Hobbykunst. Allein auf der Kunsthandwerksplattform Etsy finden sich annähernd 20.000 Frida-Kahlo-Produkte und Devotionalien im Angebot.
„Frida Kahlo fasziniert mich vor allem deshalb, weil sie in einer Zeit, in der das überhaupt nicht üblich war, für ihre Bedürfnisse als Frau eingestanden ist und auf sehr vehemente, kraftvolle Weise dafür gekämpft hat. Dazu kommt, dass ich mich ihr auf merkwürdige Art und Weise sehr nahe und verbunden fühle, fast als ob ich sie persönlich gekannt habe, oder mit ihr befreundet gewesen sei. Ich habe mich gefragt, woher dieses vertraute Gefühl wohl kommt – warum man sich ihr so nahe fühlt.
Ich kann mir vorstellen, dass dieses Gefühl einerseits durch die Vielzahl an Selbstportraits entsteht, durch die man ein sehr plastisches Bild der Person Frida Kahlo vor Augen hat. Und andererseits vielleicht auch dadurch, dass sie ihre Emotionen und ihr Innenleben dem Betrachter gegenüber mit solch einer radikalen Offenheit kommunizierte.
Hierzu verwendet sie ja, anders als andere KünstlerInnen sehr bildhafte, symbolische und einfach zu verstehende Mittel, die einem teilweise fast gruselig detailliert ihre Ängste, Sorgen, Lebensereignisse, Hoffnungen usw. zu verstehen geben. Ich glaube, dass sie durch diese Klarheit und radikale Offenheit eine unglaubliche Faszination und Anziehung auf Menschen ausübt …
Und hierzu gehört natürlich auch die Verspieltheit, Farbigkeit und Lebendigkeit ihrer Bilder, die wahrscheinlich bei einer breiten Masse das Gefühl von „schöner Kunst“ auslöst.“
Marie Louise Stübler, Medizinerin und Kunstfreundin
Mehr über den Kahlo-Kult gibt es im zweiten Teil zu lesen.
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Danke für diesen aufschlussreichen Beitrag. Es ist offensichtlich, dass Sie gründlich recherchiert haben.