Gerade einmal anderthalb Jahre sind es noch bis zur voraussichtlichen Eröffnung der 15. documenta-Ausgabe. Verglichen mit vergangenen Vorlaufphasen der alle fünf Jahre in Kassel stattfindenden Mega-Ausstellung ist es fast schon beängstigend still um die Vorbereitungen (abgesehen von der Aufregung um gefälschte Künstler-Einladungen). Zum Teil wird das den Zwängen geschuldet sein, die die aktuelle Corona-Pandemie mit sich bringt. Nun aber gibt es tatsächlich etwas zu sehen.

Es scheint dem Ausstellungsmanagement in Kassel gerade recht gekommen zu sein, dass immerhin die Arbeiten am documenta-Design vorangekommen sind und einen Nachrichtenwert produzieren. Was ist davon zu halten? Aufschlussreich ist im Vergleich der Rückblick auf die beiden letzten Ausgaben der documenta und den dort etablierten Standard.

Für 2012 (documenta 13) war die etablierte Mailänder Agentur Leftloft mit der Entwicklung des Documenta-Designs beauftragt und entzückte erwartungsgemäß die Fachwelt. Gebrochene Pastelltöne und eine in zahlreichen Varianten geschriebene Wortmarke bei stark reduziertem Design entsprachen weitgehend der Traditionslinie, hatte Eleganz. Das documenta-Design blieb aber in der Wahrnehmbarkeit fürs Publikum marginal.

Das ist vielleicht nicht die schlechteste Lösung, sollte doch die Kunst die Hauptrolle bei dem Großereignis spielen. Am auffälligsten waren gelbe Farbflächen – z.B. auf Lokomotiven – mit simplem Text: „documenta (13) Eine Kunstausstellung in Kassel 9/6 – 16/9 – 2012“. Selbst der strengste Calvinismus vermittelt mehr Lebensfreude.

2017 (documenta 14) bestand der Twist darin, dass gleich vier Büros mit der Entwicklung von Designelementen für die immer noch als eine der bedeutendsten Ausstellungen für zeitgenössische Kunst geltende documenta beauftragt wurden.

Collage der vier Documenta-Designs für die 14. Ausgabe im Jahr 2017

Dem eigentlichen Zweck eines Corporate Designs, Wiedererkennbarkeit zu generieren und einen qualitativen Standard für „das Produkt“ (die Ausstellung selbst) zu markieren, lief das zwar zuwider, war aber gewollt und eine Nachricht wert. Verweigerung mit Style.

Wie beim documenta-Design galt die Verweigerung bekanntlich auch für die Buchführung und Kalkulation der documenta 14. Aber immerhin waren ein paar Elemente des documenta-Designs nett anzuschauen.

Ist das documenta-Design zweitrangig?

Möglicherweise ist diese Diffusion auch der Tatsache geschuldet, dass die schwindelerregenden Besucherrekorde, die das documenta-Management ein ums andere Mal errechnet und kommuniziert, kaum das Ergebnis des Marketings, egal ob klassisch, digital oder sozial, sein können.

Entscheidend ist die PR rund um die Ausstellung und die Tatsache, dass die documenta wesentlich von der meist erwartungsfreudigen, wohlwollenden und vor allem breiten Berichterstattung im Vorfeld getragen wird. Das Design ist deshalb für den Erfolg der Ausstellung zweitrangig, auch wenn das die betroffene Branche nicht so gern wahr haben möchte. Und die eigentliche „visuelle Identität“ jeder Ausgabe wird von einigen wenigen Arbeiten beteiligter Künstler und Künstlerinnen geprägt, die über Jahre in Erinnerung bleiben.

Die aktuellen Entwicklungen diesbezüglich lassen dennoch aufhorchen. Denn Strenge, Systematik und Reduktion bilden für die documenta bisher die Gestaltungstradition der visuellen Identität. Ein Wagnis wurde dabei kaum einmal eingegangen. Coolness zählt, denn die Peergroup der Designagenturen, Studios und Freelancer sind nun mal Designstudios, Designagenturen und die Berufungskommissionen der Hochschulen, weniger indes die Zielgruppen des Ausstellungsmarketing.

Die documenta 9 von 1992 war die erste und bisher letzte Ausgabe, die mit einem tatsächlichen „Bild“ in Erscheinung trat (sieht man von der Eule für den Athener Teil der letzten documenta ab). Das documenta-Design operierte mit einer „falschen“ Spiegelung und gab dem Schwarzen Schwan einen ersten starken Auftritt weit vor Nassim Nicholas Talebs berühmten Essay Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse von 2007.

Mehr über die 9. Ausgabe der documenta gibt es hier

Illustration – ein Wagnis für die documenta?

Nun gibt es für die documenta fifteen (2022) wieder bildhafte Elemente. Wie kam es dazu? Die visuelle Identität der kommenden Ausgabe war offenbar Gegenstand eines Studierendenwettbewerbs, der in Kassel und Jakarta ausgetragen wurde und zu 20 Einreichungen führte. Für die visuelle Identität der documenta setzte sich – zumindest im Rahmen des Wettbewerbs – Studio 4002 aus Jakarta durch.

Filmstill mit dem Illustrationsentwurf von Studio 4002 und dem wohl ursprünglich vorgesehenen Farbspiel darin.

Hände und Seile symbolisieren nach Aussage der Design-Studenten und -Studentinnen von Studio 4002 (Louisiana Wattimena, Rosyid Mahfuzh, Larasati Fildzah Kinanti und Angga Reksha Ramadhan) Freundschaft, Solidarität und Zusammenhalt als Bestandteile dessen, was das aus Indonesien stammende Kuratorenkollektiv ruangrupa als Leitmotiv der documenta ausgerufen hat: In Indonesien heißt es „Lumbung“ und beschreibt eine Form des Solidarprinzips, in dem der Überschuss an Ressourcen nach kollektiv bestimmten Maßgaben verteilt wird.

Documenta-Design im Ausschnitt
Filmstill aus dem Clip zur Öffentlichkeitsarbeit des documenta-Managements

Natürlich sind die Hände und Seile damit stark überfrachtet, denn Seile geben Halt, fesseln aber auch, viele Hände können vieles gemeinsam schaffen, aber sie bilden auch schnell ein chaotisches Handgemenge, in dem das Recht des Stärkeren gilt. Aber die Bedeutungsvarianz von grafischen Symbolen ist die Achillesferse jedes Designs (vor allem bei der Präsentation).

Und natürlich kann man einwenden, dass die Liniatur der Hände zu stark nach Trackpad und Adobe Illustrator aussieht, knotig und konfus wirkt. Aber ist es deshalb nötig, dem jungen Team von Studio 4002 ein paar „German Profis“ aus Berlin vorzusetzen, die das in Jakarta gestaltete Design und seine Elemente nun in ein „ordentliches“ CD (Corporate Design)-Raster überführen?

Zumindest in dem kurzen Video zur Vorstellung des neuen documenta-Designs wird das „Zusammen“, also die „Kooperation“ zwischen Berliner Markenagentur (Stan Hema), einem Freelancer (den die Kommunikationsabteilung der documenta „documenta Inhouse-Designer“ nennt – Leon Schniewind) und Studio 4002 in wenigen Worten wegmoderiert und das Bemühen zum Ausdruck gebracht, dass man bei der Weiterentwicklung Wert darauf gelegt habe, dass das Team aus Djakarta sich damit anschließend noch identifizieren könnte.

Dazu hätte man gern mehr und Konkreteres gewusst, schließlich kann sich bereits in solchen Projekten abzeichnen, wie gut oder schlecht das Konzept von ruangrupa in den Projekten zur documenta realisierbar ist.

Wenn man das bislang verfügbare Material aus dem Film sichtet, lässt sich daraus schließen, dass die diversen Elemente in Deutschland in ein hier handelsübliches System gebracht wurden.

Die Farben für das documenta-Design wurden ausgedünnt und angepasst, auch wenn die Pressemitteilung sagt, dass die Farbpalette „von natürlichen Textilfarben inspiriert (sei), wie sie bei der Herstellung traditioneller Produkte in Indonesien verwendet werden.“

Das ist eine nette Story und gibt den Farben, die bei der Präsentation vor Kunden und ihren persönlichen Geschmack immer einem besonderen Rechtfertigungsdruck unterliegen, mehr Plausibilität als zu sagen, dass diese Farben halt gerade trendy sind und sich auch ganz gut im Druck wie digital anwenden lassen.

Aber wer schon mal in Indonesien unterwegs war und die vielfältige Farbwelt dort erlebt hat, wird die Eingrenzung auf vier Farben als Witz empfinden. Zudem sind die traditionellen Farben (mit natürlichen Pigmenten) auch in Indonesien schon lange Zeit auf dem Rückzug. Wer zum Beispiel einen alten Ikat mit den traditionellen Farben erwerben will, legt ein kleines Vermögen hin. Aber sei es drum. Die Story ist nett und Inspiration ein weites Feld.

Die Handsymbolik/Illustrationen wurde reduziert und in unterschiedlich komplexe Cluster gebracht, die so als dosierbare Bildteile der Gestaltung beigemengt werden können (siehe nächste Abbildung).

Eine der ersten Anwendungen der neuen visuellen Identität – am so genannten ruru-Haus in Kassel. Still aus dem Clip zur Öffentlichkeitsarbeit des documenta-Managements.

Schließlich wurde die Wortmarke „DOCUMENTA“ mit einzelnen handschriftlich eingesetzten Lettern versehen, um eine Brücke zwischen dem Wort und den Illustrationen zu bauen.

Für eine echte Kooperation im Geiste des „Lumbung“ und um den Verdacht der Bevormundung zu entgehen, wäre vermutlich ein dezidiertes Kooperationsformat im Sinne einer echten Zusammenarbeit nötig gewesen, die über „Werkbank“ und „Veredelung“, also die tradierte Spielart der Arbeitsteilung zwischen europäischer Industriegesellschaft und asiatischem Schwellenland hinausgeht; und eine entsprechende Kommunikation darüber.

Nichtsdestotrotz ist es eine gute Nachricht, dass das Spielfeld des documenta-Designs für eine Ausgabe die Fesseln der Coolness abgestreift hat und etwas wagt. Es bleibt zu hoffen, dass auf den vermutlich wieder 25.000 Großflächen und im Stadtbild von Kassel die Elemente, die aus der hiesigen Logik „professionellen Designs“ ausbrechen, im Lauf der Zeit bis zur documenta nicht zugunsten der typischen Brand Identity-Elemente europäischen Designdenkens zurückgedrängt werden.

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