Es braucht nicht immer Psychopathen. Schon die eigene Prominenz kann für einen Künstler lebensgefährlich werden. Das zeigt der Fall Rob Scholte. Der Mordanschlag auf den gefeierten Künstler und einstigen Shootingstar der internationalen Kunstszene ist bis heute ein ungelöste Fall. Bei dem Anschlag wurde der damals 36-jährige Niederländer schwer verletzt und verlor beide Beine. Der tragische Fall demonstriert die Infiltration des Kunstbetriebes durch die organisierte Kriminalität und gibt bis heute mindestens so viele Rätsel auf wie Scholtes Bilder. Jahrelang suchten Polizei und Justiz im Bekanntenkreis des Malers vergeblich nach den Tätern.

Schon mit Mitte zwanzig konnte Scholte über die lokale Kunstszene hinaus auf sich aufmerksam machen. Mit nicht mal dreißig nahm Scholte an der documenta 8 teil und erlangte mit seiner dort ausgestellten Arbeit Der Schrei internationale Bekanntheit. Auf dem Bild ist der Maler in Gestalt eines aufziehbaren Blechclowns dargestellt, der Edvard Munchs berühmtes Werk Der Schrei auf einen Pappkarton zeichnet. Die Kritiker waren sich einig, dass Scholte damit einen der wichtigsten Beiträge zur Kasseler Schau geliefert hatte.

Rob Scholte - Der Schrei (De schreeuw), 1985. Detailansicht
Ausstellungsansicht von Rob Scholtes ‘De schreuw’ (Der Schrei) in der Ausstellung “Back to the 80s” im Dordrechts Museum 2013 (Detailansicht; Quelle: Mirko Tobias Schäfer). Das Gemälde befindet sich im Besitz des Städelschen Museums-Vereins e.V. in Frankfurt (aktuell nicht ausgestellt). Hier gibt es das vollständige Bild zu sehen.

Drei Jahre später, 1990, durfte Scholte den niederländischen Pavillon auf der Biennale in Venedig bespielen und war damit im Orbit der internationalen Kunststars angekommen – auch wenn die Wahrnehmung dieser Biennale von anderen Künstlerinnen und Künstlern geprägt wurde.

Ein bis dahin einmaliger Millionenauftrag für ein gewaltiges Wandgemälde in Japan folgte kurz vor dem Anschlag (das Honorar betrug angeblich drei Million US-Dollar). Scholtes Werke jener Zeit bestachen durch ein raffiniertes Spiel mit medialen Fundstücken und kunsthistorischen Anspielungen, die durch ihre malerisch überzeugende Ausführung auch das breite Publikum ansprach. Die Jahre seines unaufhaltsamen Aufstiegs erlebte Scholte wie im Rausch: Partys, Kokain, Kunstpreise und Models als Freundinnen.

Mein Stern stieg auf. Ich hatte so viel Aufmerksamkeit, dass ich einen Anrufbeantworter brauchte. Ich war nicht vorbereitet für den ganzen Hype.

Rob Scholte zitiert in Anthony Haden-Guest:True Colors – The Real Life of the Art World
CNN Bericht über ein Großprojekt von Rob Scholte nahe Nagasaki (Japan), im so genannten Holland Village

Dass sich Scholte in diesen Jahren nicht nur Freunde gemacht hatte wurde schlagartig klar, als er am Morgen des 23. November 1994 gemeinsam mit seiner schwangeren Frau Micky Hoogendijk sein Haus im gut situierten Amsterdamer Stadtteil Jordaan verließ und den vor dem Haus geparkten Wagen startete. Nach ein paar Sekunden Fahrt hörte das Paar ein seltsames Ticken.

Es klang nicht nach den Geräuschen, die das Auto normalerweise macht. Wir haben uns gegenseitig angesehen. Aber ich hielt nicht an. Sechs oder sieben Sekunden später ging die Bombe hoch.

Rob Scholte zitiert in Anthony Haden-Guest:True Colors – The Real Life of the Art World

Es war eine Granate, die am Außenboden der Karosserie unterhalb des Fahrersitzes befestigt worden war. Micky, die auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, blieb äußerlich unverletzt, erlitt aber bald darauf eine Fehlgeburt. Ihr gelang es trotz des Schocks, ihren schwer verletzten Mann aus dem brennenden Wagen zu ziehen. Beide Beine waren durch die Detonation abgerissen worden, doch gelang den Ärzten immerhin, seine schwer verletzten Hände vollständig zu erhalten.

Nach der Entlassung aus der Klinik zeigte sich der Künstler kämpferisch, ging offensiv mit seinem Schicksal um. Kurze Zeit darauf stellte er seinen ausgebrannten BMW aus und projizierte auf eine Wand daneben ein Bibelzitat: »Herr, lass mich ein Werkzeug Deines Friedens sein. Lass mich Liebe säen, wo Hass ist.« Auf diese Form der Bewältigung der Geschehnisse reagierte das Publikum mit Unverständnis. Freunde und Bekannte waren peinlich berührt.

Rob Scholte – selbst unter Verdacht

Möglich, dass dieses Verhalten bei der Polizei und in der Öffentlichkeit den Verdacht reifen ließ, Scholte habe den Anschlag aus Publicity-Gründen selbst inszeniert. Vielleicht spielte auch sein biografischer Hintergrund eine Rolle: In jungen Jahren stand er der Subkultur der radikalen Hausbesetzer nahe. Scholte war hingegen überzeugt, dass jemand aus dem künstlerischen Umfeld den Anschlag als eine Art Racheakt begangen haben musste. Zweifellos hatte sein kometenhafter Aufstieg, sein abweisendes Verhalten und seine Großspurigkeit zahllose Neider und Feinde hervorgebracht. Ehemalige Weggefährten aus der politischen Jugendszene, der Punk-Musikszene, Künstlerkollegen und Kritiker warfen ihm vor, sämtliche früheren Ideale verraten zu haben und nur noch ein marktkonformer Karrierist zu sein. Zudem trug die einfache Machart des Anschlags nicht gerade die Handschrift routinierter Profis.

Hartnäckig hielt sich auch die These einer Verwechselung Scholtes mit dem in einen Geldwäscheskandal verwickelten Anwalt Oscar Hammerstein, die der Anwalt selbst ins Gespräch gebracht hatte. Dieser hatte zur Zeit des Anschlags erhebliche Probleme und war wegen seiner dubiosen Geschäfte aus der Anwaltsvereinigung ausgeschlossen worden. Ihm bot sich also die perfekte Gelegenheit, sich über die Medien als »Opfer« ins Gespräch zu bringen. Oder war die Verwechslung selbst nur fingiert und Bestandteil eines noch perfideren Plans?

Die Vermutung, dass der Anschlag eigentlich dem in der Nachbarschaft wohnenden Entführer des Millionärs Freddy Heineken galt, geisterte ebenfalls durch die Medien, obwohl dieser Kriminelle zum Zeitpunkt der Explosion bereits seit neun Monaten eine neue Adresse mit Vollverpflegung hinter Gittern hatte. Weitere Spekulationen galten dem organisierten Verbrechen. Scholte soll an Geschäften mit der Unterwelt beteiligt gewesen sein und darüber hinaus Kontakt zu den schrägsten Ganoven Amsterdams gepflegt haben.

Der Künstler spekulierte fleißig mit und erstellte gemeinsam mit einem befreundeten Dichter eine Liste möglicher Verdächtiger und ungelöster Fragen für den zuständigen Staatsanwalt. Später landete der Dichter selbst auf der Liste. Scholtes Vergangenheit bot zahlreiche Anhaltspunkte für Tatverdächtige. So auch ein jugoslawisches Mädchen, das er in einem Club aufgegabelt hatte, ohne zu wissen, dass es sich bei der jungen Dame um die Freundin eines Drogenbarons handelte. Erst am Morgen danach wurde ihm sein gefährlicher Fauxpas bewusst. Wen das an den Plot eines Hollywoodstreifens erinnert, wird hier allerdings Held und Happy End vermissen. Bis hin zur japanischen Mafia, dem Medellin-Kartell und diversen gehörnten Männern, denen Scholte die Frau ausgespannt haben soll, wucherten die Spekulationen über die Täter. Sie glichen bald selbst schon einem kunstvoll entworfenen Labyrinth, in dem der Künstler die unrühmliche Rolle übernahm, durch eigene Aktivitäten weitere Verwirrung zu stiften.

Polizeischutz für den Künstler

Scholte und seine Frau Micky bekamen nach dem Anschlag Polizeischutz, aber auch anonyme Schmähbriefe wie diesen: »Yo Robbie, Coke boy! Du hast keine Füße mehr, Arschloch!! … Fake-Künstler! Loser!!!«, darunter eine Zeichnung mit abgeschnittenen Beinen und ein kryptischer Kommentar: »Dit is taboedoorbrekende kunst! Zijn je voetjes taboetjes?« (»Das ist wirklich tabubrechende Kunst! Sind deine Füßchen tabüchen?«) Dieser Brief war in der Handschrift eines Künstlers verfasst, den Scholte persönlich kannte, und mit dessen Signatur versehen – erwies sich aber als Fälschung. Der zynische Brief kam offenbar aus dem alten Bekanntenkreis Scholtes.

Schmähbrief an Rob Scholte
Anonymer Schmähbrief nach dem Anschlag auf Rob Scholte (http://robscholtemuseum.nl, Foto: Hendrik Jan Korterink)

Die Polizei ermittelte verstärkt im Künstlermilieu und nahm einen ehemaligen Assistenten Scholtes vorübergehend fest, der kurz vor der Tat seinen Job bei dem egozentrischen Künstlerstar hingeworfen hatte, im Streit sogar wutentbrannt gedroht hatte, ihm eine Brandbombe ins Haus zu werfen. Ein weiterer Verdächtiger war ein Künstler, der aus ungesendetem Videomaterial vom Unglücksort eine Videocollage produzierte und in dem Amsterdamer Edellokal Supperclub als dekoratives »Visual« an die Wand projizieren ließ. Handelte es sich um die schlicht geschmacklose Verwurstung von Medienmaterial oder steckte mehr dahinter? Verdächtig war, dass der Künstler in Kontakt mit dem Kunstprojekt SRL aus San Francisco stand, einer Gruppe, die explosive Installationen herstellte: technische Arrangements, die sich durch Explosionen selbst zerstörten.

Der Fotograf Paul Blanca (1954–2021), mit dem Scholte eine spannungsreiche Beziehung verband, geriet ebenfalls in Verdacht. Blanca war einst Schüler von Andres Serrano und Robert Mapplethorpe gewesen. Letzterer bezeichnete ihn angeblich als seinen »einzig wahren Konkurrenten«. Er feierte 2008 mit einer Ausstellung von Porträts Amsterdamer Straßengangs ein Comeback (hier mehr dazu). Damals aber war er als heroinabhängiger Bohemien bekannt wie ein bunter Hund, sorgte mit Selbstverletzungen für Aufmerksamkeit und kokettierte mit seinem gewalttätigen Lebenswandel. In Zeitschriftenbeiträgen prahlte Blanca damit, wie er einmal einen Dealer mit Waffengewalt überfallen habe oder wie er durch seine guten Verbindungen ganz leicht an Pistolen und Handgranaten kommen könne. Scholte beschuldigte er, ihn mit seiner Freundin betrogen zu haben. Im Zusammenhang eines Verhörs wegen Waffenbesitz wurde Blanca auch zu dem Anschlag auf Scholte befragt, ohne dass sich der Verdacht erhärtete.

Paul Blanca, Selbstportrait 1989 (Quelle: Blancas Blog: https://bladenjaap.tumblr.com )
Paul Blanca, Handicapt (Quelle: Blancas Blog: https://bladenjaap.tumblr.com )

1995 zog Scholte nach Teneriffa, wo er ein altes Restaurant zum Atelier umbauen ließ. Bald darauf wurde auf das Gebäude ein Brandsatz geworfen – die Täter wurden nicht ermittelt. Malerei war mittlerweile ein ungeliebtes Kind des Kunstbetriebs geworden. Zwar konnte Scholte dank einer Professur an der Kasseler Kunstakademie und einigen treuen Sammlern weiterhin ein von materiellen Sorgen freies Leben führen, doch seine Karriere hatte den Glanz der Anfangsjahre eingebüßt. Die Gerüchte, Scholte habe den Anschlag auf sich selbst inszeniert, trugen auch nicht dazu bei, das Ansehen des Niederländers zu fördern. Selbst vermeintliche Freunde beteiligten sich an der fantasievollen Geschichtsschreibung rund um den Fall.

Einer davon ist Eef Hoos, ein Freund von Rob Scholte und definitiv einer der besonderen Art. Einst agiler Direktor eines Inkassobüros mit handfesten Serviceangeboten, wurden Hoos selbst einige Bombenanschläge zugeschrieben. Im Milieu kannte man ihn auch als »Bombenhoos«, bevor er sich nach längerer Haftstrafe in den Ruhestand in die Algarve zurückzog. Sein Name taucht in den Polizeiprotokollen zum Anschlag auf Scholte auf, aber er wurde nie verdächtigt, da er zur Tatzeit schon eine ganze Weile im Gefängnis saß. Hoos berichtete von einem mehrwöchigen Besuch des Künstlers neun Jahre nach dem Anschlag. Zusammen mit seiner damaligen Freundin (und späteren Frau) Lijsje Snijder sowie dem gemeinsamen Sohn suchte der Künstler in seinem Haus in Portugal Unterschlupf, weil er sich auf Teneriffa nicht mehr sicher fühlte. Bei dieser Gelegenheit soll Scholte seinem Gastgeber gestanden haben, dass er den Anschlag selbst verübt habe. Hoos zufolge habe Rob Scholte die Wucht der Handgranate stark unterschätzt: es hatte nach einem Anschlag aussehen sollen, bei dem niemand schwer verletzt werden würde. Alles sei anders gelaufen als geplant. Hoos: »Natürlich war es nie die Absicht, dass seine schwangere Freundin Micky bei ihm im Auto sitzen würde, aber sie musste an diesem Morgen unerwartet ins Krankenhaus und wollte alleine in den BMW steigen. Er konnte schlecht sagen: ›Tu es nicht, da liegt eine Bombe drunter.‹ Es gab für ihn keine andere Möglichkeit, als selbst mitzufahren …«

Geht ein Künstler so weit und inszeniert einen Bombenanschlag auf sich selbst, um für Aufsehen zu sorgen und sich als radikaler Künstler zu positionieren? Oder will er sich auf diese abstruse Art aus den Verbindlichkeiten gegenüber irgendwelchen Ganoven der Unterwelt befreien? Oder kokettierte er später mit der Tat, um nicht als Opfer und erloschener Star in der Kunstwelt bemitleidet zu werden? Um auf diese Weise seine Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und zu zeigen, dass er stets Herr seines Schicksals war? Zum Zeitpunkt des Anschlags war Scholte bereits eine exponierte Persönlichkeit und so schwer beschäftigt, dass er wohl kaum den Drang nach weiterer, besonders dramatischer Publicity verspürt haben mag, wenngleich man nie wissen kann, welche bizarren Anwandlungen aus Größen- und Verfolgungswahn einem kokaingedopten Hirn entspringen können (hier mehr zu dem Thema).

Gegenüber dem niederländischen Enthüllungsjournalisten Henrik Jan Korterink, der für sein Buch über das Attentat recherchierte, erzählte der redselige Gaunerpensionär Hoos, dass Scholte zeitweise ständig von Prinz Harry geredet habe, als er 2003 zu ihm nach Portugal gekommen war. Scholte fantasierte, dieser sei eigentlich sein Sohn, er habe damals in Köln eine Beziehung mit Prinzessin Diana gehabt. Hoos: »Er wollte Harry die Ohren abschneiden. Die Chance, dass ihm das gelingt, ist nicht so groß, aber er wollte es auch bei seinem Sohn tun. Lijsje war das überhaupt nicht geheuer.« Sie habe, so Hoos weiter, Scholte angeblich keinen Moment mit dem Kind allein gelassen.

Korterinks Buch über den Anschlag auf Rob Scholte
Hendrik Jan Korterinks Buch zum Anschlag auf Rob Scholte

Die Kunst und das kriminelle Milieu

Rob Scholte suchte nach dem Anschlag die Öffentlichkeit, beklagte in Interviews, die Kunstwelt Amsterdams habe in den letzten Jahren ganz geräuschlos eine Symbiose mit der Unterwelt vollzogen. Die Kunstszene sei pervertiert, die Niederlande auf dem Weg, sich in einen mafiösen »Narcostaat« zu verwandeln. Konnte es wirklich sein, dass der Anschlag aus den Kreisen der organisierten Kriminalität kam? Welche Verbindungen hatte Scholte ins Milieu? Sein kometenhafter Aufstieg im Boom des Kunstmarktes der 1980er Jahre zog zwielichtige Gestalten an; so auch einen Geschäftsmann, der unter diversen Namen firmierte, z. B. Max Hessling. Er war mit zweifelhaften Immobiliengeschäften eine große Nummer in Amsterdam geworden, Verwicklungen in Drogengeschäfte und Geldwäscheaktionen wurden ihm ebenfalls nachgesagt. In jenen Jahren versuchte Hessling, sich in den niederländischen Kunstbetrieb einzukaufen und seine Geschäfte somit zu diversifizieren. Noch kurz zuvor war er beschuldigt worden, den renommierten Kunsthändler Michel van Rijn, einen guten Bekannten von Scholte, mit Hilfe angeheuerter jugoslawischer Krimineller erpresst zu haben.

Hessling wollte erfolgreichen Künstlern günstige Ateliers in Toplagen vermieten und im Gegenzug Werke für seine rasch wachsende Kunstsammlung akquirieren. Auch Scholte bot er 1987 ein prächtiges Atelier an. Der mit Scholte befreundete Georg Jiri Dokoupil (geb. 1954), einer der damals als »Junge Wilde« gehandelten und mit strohfeuerartigem Erfolg gesegneten deutschen Maler, erhielt ebenso ein Angebot, wie Paul Blanca, der einwilligte. Seinen ersten Besuch in Hesslings imposantem Bürogebäude an der Paulus Potterstraat beschrieb Scholte folgendermaßen:

»Das Haus hing von oben bis unten voll mit Kunst (…) aber allgemein betrachtet war es Mist. Für Außenstehende war es vielleicht ein Büro, das hauptsächlich mit Kunst handelte, aber drinnen merkte man schnell, dass etwas völlig anderes los war. Unten gab es eine Art Sicherheitsdienst, dort liefen einfach viel zu heiße Weiber rum, und oben, im Büro lag sofort die dickste Linie Koks, die ich jemals gesehen hatte. Hinter seinem Schreibtisch lag ein ganzer Stapel falscher Dalís …«

Einmal kamen Scholte und Dokoupil ungelegen. »Hesseling war kurz zuvor auf seinem Balkon beschossen worden und in voller Panik. Der ›heisere Gerrit‹, ein Leibwächter Hesselings, lief da rum mit einer gigantischen Knarre und fing auf einmal mit komischen Geschichten an. Er erzählte, wie jemand einmal zu ihm gesagt hatte: ›Was hast du für eine hässliche Jacke an, Gerrit? – und weißt du, was ich dann gemacht hab?‹ fragte er, ›dann hab ich meine Knarre auf ihn leer geschossen, denn es war gar keine hässliche Jacke‹ …« Das ist nicht unbedingt der Umgang, den man jungen, erfolgsverwöhnten Künstlern empfehlen würde.

Rob Scholte war von der kriminellen Aura von Hessling angewidert, weshalb er dessen Angebot eines Ateliers nicht annahm. Dem Dunstkreis dieses »Geschäftsmanns«, der später als Informant der Polizei geführt und geschützt wurde, entkam er dennoch nicht. Zur Finanzierung seines Beitrags für die prestigeträchtige Biennale in Venedig soll sich Scholte Geld vom Kroaten Ivo Podunajec geliehen haben, einem in Amsterdam ansässigen Kunsthändler. Wenn Scholte mit dem Venedigauftritt seinen Ruhm auch steigern konnte, finanziell soll er ein Fiasko gewesen sein. In diesen Zeitraum fielen sowohl der Einbruch des Kunstmarktes als auch eine bedeutende Eskalation am Vorabend des Jugoslawienkriegs. In Kroatien spitzten sich die Spannungen zwischen den Serben in der Krajina und der kroatischen Bevölkerungsmehrheit zu und führten im Frühjahr 1991 zum Krieg.

Das verliehene Geld, über dessen Rückzahlungsmodalitäten offenbar Unklarheit herrschte, wurde nun anderweitig gebraucht; ein Freund des Kroaten soll Franjo Tudman gewesen sein, jene morsche Gallionsfigur im Krieg um die kroatische Unabhängigkeit, die später als Staatspräsident vor allem durch Korruptionsskandale auffiel. Doch Scholte konnte und wollte nicht zurückzahlen. Für ihn war wohl sein als Pfand hinterlegtes Bild Abgeltung genug. Größere Räder bewegte der bereits erwähnte Anwalt Hammerstein, der die Verwechslungstheorie in Umlauf gebracht hatte. Auch er war mit Hessling in Kontakt, hatte in der Zeit vor dem Anschlag massive Vertrauensprobleme mit seinen Klienten, die im Umfeld eines auf Drogen spezialisierten Verbrecherzirkels namens »Octopus« zuhause waren. Dass die Unterwelt eine böse Karikatur der seriösen Geschäftswelt ist, erkennt man auf Anhieb an den peinlich verkitschten Spitznamen der Protagonisten. Was der Hamburger Unterwelt seinerzeit Figuren namens »Negerkalle« oder »Albanertoni« waren, nannte sich in Amsterdam »Die schwarze Kobra«, mit bürgerlichem Namen Henk Rommy, ein Drogenbaron und Immobilienbesitzer. Er sitzt bis 2021 eine Haftstrafe in den USA ab. Gut möglich, dass aus diesem Umfeld ein Handlanger losgeschickt wurde, um den Anschlag bewusst als Verwechslung auszuführen – als eindringliches Schweigegebot an den Anwalt, der durch seine Geschäfte selbst ins Visier der Staatsanwaltschaft geraten war. Rob Scholte wäre demnach ein Bauernopfer, dessen Beseitigung ein nützlicher Nebeneffekt gewesen wäre. Ein Eine-Hand-wäscht-die-andere-Geschäft, ohne konkreten Mordauftrag – einfach eine Gefälligkeit unter bösen Buben …

(Beitragsportrait von Rob Scholte fotografiert von Sebastiaan ter Burg, 2010)

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